So ein Doppelspieltag, der ist lang. Mit Vor- und Nachlese kann das kaum in einen Bericht untergebracht werden - jedenfalls bei den hohen Ansprüchen, die ich an mich selbst stelle und die ganz eventuell ein voriger Autor in dieser Saison noch erhöht hat mit seinem beeindruckenden Beitrag. Daher fangen wir beschwingt und leicht mit dem Samstag an und lassen den Sonntag erst einmal außen vor.
Wenn man es ganz genau nimmt, so startete das Schachwochenende für viele von uns schon am Freitag, wo die meisten unserer Spieler bereits anreisten. Kiel ist schon eine ordentliche Strecke und bei den zu erwartenden geistigen Herausforderungen ist eine längere Zug- (oder noch schlimmer Auto)fahrt ein gewisses Handicap. Statistisch sicherlich äußerst relevant: die Ergebnisse belegen eindeutig den Vorteil dieser Herangehensweise.
Während wir diesmal sogar einigermaßen rechtzeitig Unterkunft und Anfahrt geklärt hatten, stellte sich die Erkenntnis ein, dass wir wenig vorrausschauend nichts in Bezug auf ein Restaurant unternommen hatten. Das führte dann zu hektischem Googlen und Telefonieren bei gleichzeitigem Losgehen und endete nach diversen Absagen bei einem Vietnamesen, der aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen sehr leer war. Ende gut, alles gut. Für den Samstag hatten wir dann aber doch rechtzeitiger reserviert...
Auf dem Rückweg machten wir dann noch ein bisschen kulturelle Entdeckung und besuchten für ungefähr eine Minute den Kieler Weihnachtsmarkt, der an unserem Weg lag.
Viel wichtiger war aber die Existenz des REWE im Hauptbahnhof, der für die nötigen Vorbereitungen unabkömmlich war:
Während der erste Spieltag gegen Werder Bremens zweite Mannschaft sich noch gar nicht so anders anfühlte (jedenfalls für mich), da es sich letzten Endes nur um ein einzelnes "normales" Sonntag 11 Uhr Spiel handelte, war es diesmal mit dem Doppelspieltag ein Novum für alle unter uns, die noch keine Bundesligaerfahrung hatten. Das führt zu einer ganz anderen Intensität der Vorbereitung, gilt es doch mit beiden Farben gegen zwei Mannschaften etwas in petto zu haben. Am Freitag stand natürlich primär der SK Norderstedt im Fokus der Spekulationen, da der sonntägliche Gegner zumindest weitestgehend anhand des ersten Spiels auszumachen sein würde. Ausnahme: der eher unerwartete Spitzenspieler der Kieler Pawel Teclaf wurde im Hotel gesichtet.
Das Spekulieren war bei den Norderstedtern wunderbar möglich - hatten diese doch sogesehen keinen wirklichen Stamm abseits zwei der acht Bretter. Es wurden Beobachtungen geteilt, wie die Michnas spielen immer getrennt oder besonders schön: Lawrence Trent hat demnächst ein Schachboxing Match (hätte man mal bei chess24 rechtzeitig die Teilnehmer des MrDodgy Turniers gesehen, hätten wir ihn garantiert ausschließen können). Ob sich das alles gelohnt hat? Ich vermag es nicht zu sagen, aber die Aufstellung, die es am Ende werden würde, war so sicherlich nicht erwartet...
Vor dem Spiel liegt aber auch der Hinweg. Zwar war das dank frühzeitiger Anreise nicht mehr als ein Fußweg von unter 15 Minuten, jedoch stellte sich der schöne Naturweg durch den Park als eher unerfreulich heraus:
Der holprige und matschige Start wurde noch gekrönt durch viele zu absolvierende Höhenmeter, aber immerhin konnten wir anschließend dem Herumsitzen frönen und die Anstrengung auf den Kopf beschränken (obwohl das natürlich keineswegs bedeutet, dass es nicht auch körperlich herausfordernd ist eine oder gar zwei längere Schachpartien zu spielen).
Zeit, zum schachlichen Part zu kommen. Vorneweg die Aufstellung (mit Ergebnissen, darum will ich jetzt kein Geheimnis machen):
Brett | SK Norderstedt | Ergebnis | HSK Lister Turm |
---|---|---|---|
1 | GM Michal Olszewski | 0:1 | IM Ilja Schneider |
2 | IM Andrey Ostrovskiy | 0,5:0,5 | IM Dennes Abel |
3 | IM Lukasz Licznerski | 0,5:0,5 | IM Jakob Pfreundt |
4 | IM Michael Kopylov | 0,5:0,5 | IM Dr. Stefan Walter |
5 | FM Oliver Zierke | 0,5:0,5 | FM David Höffer |
6 | FM Christian Michna | 0:1 | FM Felix Hampel |
7 | IM Christian Joecks | 0:1 | Dr. Torben Schulze |
8 | Alfred Parvanyan | 0,5:0,5 | Jan Pubantz |
Das da vorne bei Norderstedt einige starke Spieler sein könnten, war durchaus erwartet. Das dort gleich drei davon spielen, einschließlich des ersten Bretts, war doch kaum zu erwarten gewesen. Zugegeben, auch wir waren durchaus ganz gut rotiert mit zwei Veränderungen, also wer weiß, wer jetzt wirklich damit etwas anfangen konnte.
Guckt man auf die Zahlen, so ließen diese ein leichtes Übergewicht vorne bei unseren Gegnern vermuten, während wir an den hinteren Brettern das Eloplus aufwiesen (es sei darauf verwiesen, dass bei IM Joecks die Elozahl aufgrund etwa 16 Jahre ohne Auswertung nicht unbedingt aussagekräftig ist - die DWZ liegt knapp unter 2200). Damit konnten wir durchaus eine bereits im Vorhinein vermutete Favoritenrolle reklamieren.
Da mir aufgrund der eigenen Teilnahme der genaue zeitliche Ablauf des Mannschaftskampfes entgangen ist, wird für die im folgenden gewählte Reihenfolge keine Gewähr übernommen:
Brett 4, Kopylov - Walter:
Die erste beendete Partie und vielleicht die Partie an diesem Wochenende, über die es am wenigsten zu sagen gibt. Stefan gelang es, mindestens von außen gesehen, die Stellung als Schwarzer sehr schnell auszugleichen. In einer symmetrischen Stellung verschwanden ein paar Figuren und ehe der große Generalabtausch starten konnte, wurden sich auch schon die Hände gereicht. Ein solides Remis und mit Schwarz sicherlich gern gesehen.
Brett 2, Ostrovskiy - Abel:
An sich ist Dennes der solide Mannschaftsführer, doch an diesem Spieltag führte ein Fingerfehler in der Eröffnung zu einem schlechten Start in die Partie. Die resultierende Stellung war aus menschlicher Sicht unangenehm zu spielen und es dauerte nicht zu lange, bis Dennes ernsthafte Schwierigkeiten bekam - oder eher bis der Weiße das Ruder hätte übernehmen können. Doch es gibt fast immer auch Licht in der Dunkelheit einer schlechten Stellung und in diesem Falle war es der unverantwortliche Zeitverbrauch des Gegners. Wir erreichen den kritischen Moment:
Prägnant auf den Punkt brachte es Dennes in seiner Analyse zum gespielten Zug 25.Kh1: Nicht der richtige Zeitpunkt für Prophylaxe! Weiß steht bereits die gesamte Zeit dominant und hätte nun mit dem typischen Bauerndurchbruch g2-g4 forsetzen sollen. Danach öffnet sich die Stellung und Schwarz hat kein nennenswertes Gegenspiel.
Auch in der Folge war der Vorteil noch bei Weiß, doch bei schwindender Zeit entschied sich der Anziehende hier für den Spatz in der Hand. Wenn schon so eine Stellung noch ohne größere Probleme Remis ausgeht, was kann dann schon schief laufen?
Brett 1, Schneider - Olszewski:
Die Partie war laut Iljas Aussage nicht sonderlich beeindruckend, da der Gegner ihm mit einem schlechten Eröffnungszug (gekrönt durch einen anschließenden weiteren Fehler) eine quasi gewonnene Stellung serviert habe und er sozusagen nur noch den Sack zumachen musste. Ich bin geneigt zu sagen, dass man das auch anders sehen kann und nicht jeder einfach mal so gewonnen hätte.
Beginnend mit f4! wies Ilja überzeugend nach, dass es hier der im Zentrum verbliebende König des Nachziehenden ist, der unter Beschuss gerät. Auch dank sich sehr schnell einstellender Zeitnot, gelang es dem Großmeister nicht mehr Widerstand zu leisten.
Ein solcher Punkt an Brett 1 (der schon sehr frühzeitig abzusehen war) ist nicht nur als Punkt an sich wertvoll, sondern vor allem auch aus psychologischer Sicht wichtig: es fühlt sich anschließend an, als ob alles für uns läuft und beruhigt früh.
Brett 5, Hoeffer - Zierke:
Den Versuch für den Schönheitspreis unternahm schon sehr früh David, der sich nicht damit zufriedengeben wollte, eine langsamere Partie zu spielen, in welcher dann auch der Gegner mal zum Zuge kommen könnte. Oder auch in seinen Worten: Weiß steht sicherlich etwas besser [ohne das Opfer], aber auch nicht so viel, dass man das Opfer deswegen nicht spielen dürfte.
Zu beachten ist dabei aber auch, dass es sich keineswegs um ein Opfer handelte, welches rein spekulativ war oder alle Brücken hinter sich abbricht. Im Gegenteil: die Tatsache, dass Weiß zumindest ein Dauerschach sicher hat, macht das Opfer erst richtig attraktiv in einem Mannschaftskampf (auch hier hilft es wieder, wenn an anderer Stelle bereits positive Entwicklungen abzusehen sind).
Bedauerlicherweise für David und die Zuschauer (also jedenfalls die von unserer Mannschaft), stellte sich heraus, dass die objektive Bewertung der Stellung tatsächlich das berüchtigte 0.00 ist. Da der Gegner auch die nötigen Verteidigungszüge fand, blieb trotz großem Zeitverbrauch und vielen weiteren Zügen, sowie kleinen Versuchen am Ende keine Alternative zum Dauerschach. Schade, kein Schönheitspreis, aber trotzdem eine spannende Partie!
Brett 6, Michna - Hampel:
Über die eigene Partie zu schreiben, ist sowohl leichter, als auch schwieriger. Tatsächlich bin ich ziemlich zufrieden mit meiner Leistung, was nicht nur dem Sieg geschuldet ist.
Die Eröffnung verlief trotz vermutlicher gegenseitiger Überraschung (erst ich, dann er) recht gut für mich. Einen zugegeben nicht zwingend nötigen Befreiungsschlag im Zentrum hatte ich korrekt berechnet und bot dann bei vertauschten Rochaden einen Damentausch an. Zu meiner Überraschung wurde dieser auch angenommen, was zu einem sehr guten Endspiel für mich führte. An der Präzision kann man noch arbeiten (der Prophylaxe bzw. Unterbindung jeglichen angenommenen Gegenspiels gab es dann doch noch zu viel), da die Verteidigung jedoch ebenfalls nicht fehlerfrei geführt wurde, ergab sich dennoch eine Gewinnstellung für mich.
Unsicherheit ob der Einschätzung eines Springerendspiels (es war klar gewonnen) führte zu der Diagrammstellung. In der Folge verlor ich etwas den Faden und erlaubte es dem Weißen zu unnötigem Gegenspiel zu kommen. In aufziehender Zeitnot hatte die objektive Bewertung von vermutlich für kurze Zeit nicht mehr ausreichendem Vorteil aber wenig praktische Relevanz. Ich fing mich und schaffte es aus der Zeitkontrolle mit einem gewinnbringenden Freibauern zu kommen. Die weißen Figuren steckten am Königsflügel fest, während sich Springer, Turm und König bei mir zusammentaten, um den einsamen weißen König anzugehen und den Bauern zur Umwandlung zu tragen. Mit sorgfältiger Berechnung umschiffte ich die letzten erfindungsreichen Tricks (obwohl hier vermutlich mehr als genügend Wege nach Rom führten) und erzielte damit im neunten Anlauf meinen ersten Sieg in der zweiten Bundesliga.
Brett 8, Parvanyan - Pubantz:
Ein typisches Problem für den stärker bewerteten Spieler ist oftmals ein mit Weiß sehr solide spielender Gegner. Der Wunsch nach mehr ist immer da, doch kann das teils nicht mit der Realität in Übereinstimmung gebracht werden. Für Jan kam erschwerend hinzu, dass ihm die Eröffnung eher misslang und selbst der Ausgleich erst erzielt werden musste. Je knapper die Zeit für beide, desto größer die Auflösungserscheinungen der einstmals soliden Positionen. Weiß gab einen Bauern, hatte dafür aber das Läuferpaar bekommen. Hier gab es vielleicht einmal die Möglichkeit, einen leicht angenehmeren Ausgleich zu bekommen, doch stattdessen wurden weitere Figuren getauscht, bis sich ein Turmendspiel ergab, welches noch verteidigt werden musste.
Eine wirkliche Blöße gab sich Jan nicht, obwohl er einmal dem Weißen eine Chance einräumte, es zumindest mit einem Mehrbauern zu versuchen. Am Ende stand ein hart erkämpftes Remis, welches völlig in Ordnung geht.
Brett 3, Pfreundt - Licznerski:
Jan war nicht der einzige Spieler, der ein schlechteres Turmendspiel verteidigen musste. Bei Jakob ergab sich eine Karlsbader Struktur, die zu einem komplexen strategischen Kampf führte. Im Mittelspiel geriet Jakob auf die schiefe Bahn und musste nach unglücklichen Abtäuschen den Verlust eines Bauern hinnehmen. Während er selbst sich noch in ein Turmendspiel rettete, sah es von der Seite sehr schwierig aus. Als 10-Sekunden-Patzer (Einschätzungen nach einem kurzen Blick auf die Stellung können meist nicht mit viel Genauigkeit aufwarten) hatte ich ihn schon fast aufgegeben.
In dieser Stellung fand Jakob aber sehr stark Td8!, was sich nicht der passiven und gefährlichen Verteidigung nach Ke2 Ke7 aussetzt, wo Schwarz sich in eine bessere Lage manövrieren kann. Die folgenden Komplikationen (c5 Td6!) hatte er korrekt berechnet und das zähe Spiel nach dem Bauernverlust zahlte sich aus. Am Ende konnte es sich Jakob sogar leisten ein Remisangebot abzulehnen, obwohl die Partie natürlich doch recht bald friedlich endete.
Brett 7, Schulze - Joecks:
Die Partie hätte sowohl deutlich früher, als auch deutlich später beendet sein können - das eine Mal hätte es in Torbens Hand gelegen und das andere Mal lag es am Gegner. Doch der Reihe nach. Die Anfangsphase gehörte Torben, der gegen alles gewappnet war und es dann schaffte, sich zum ungefähr ersten Mal (und damit an der einzig wirklich relevanten Stelle) an einen wichtigen Zug in der Eröffnungsvariante zu erinnern. Als vorbildlicher Fan des Stegosaurus produzierte er frühzeitig die folgende Bauernkette:
Nur die verbindliche Turnierruhe, die niemand absichtlich brechen wollte, sorgte dafür, dass es keine Begeisterungsrufe der Fans gab. Na gut, vielleicht ist es dann doch nicht so extrem, aber die Strukturen dieser Partie waren echt ein Augenschmaus. Genauso, wie die ziemlich wilde Stellung mit vertauschten Rochaden.
Es ist vielleicht nicht ganz fair, aber die zu zeigende Stellung ist diese hier:
Was Torben alles gesehen und überlegt hatte, ist äußerst beeindruckend, aber leider verpasste er hier den Traum eines jeden Schachspielers: mit Dxf5 die Dame zu opfern. Klar, ein wirkliches Opfer ist es nicht (sondern stattdessen ein Qualitätsgewinn), aber trotzdem. In der Folge kamen die Damen in einer taktischen Sequenz vom Brett (aber nur als Abtausch), den leichten Vorteil und Druck behielt aber Torben. Die Zeitnotphase verließ Torben dann mit einem Mehrbauern, der gleichwohl aus objektiver Sicht nicht zu verwerten sein sollte.
Hier fand Torben mit Sd7+ eine interessante Idee, die auch fast sofort zum Erfolg führte. Sei es, weil nach einer langen Partie in der Defensive die Berechnung nicht mehr stimmte oder sei es auch nur ein Einsteller gewesen: dem Schwarzen kam ein paar Züge später der Läufer abhanden (auf d1, wer mag, kann versuchen die Züge dahin zu rekonstruieren). Die Kompensation in Form des a-Bauern war zwar störend, aber nicht ausreichend. Stück für Stück machte Torben Fortschritte, bevor der Gegner doch recht unerwartet schon das Handtuch warf. Die Stellung war verloren und Torben dem Gewinn schon ersichtlich auf der Spur, aber dennoch dürfte sich von uns niemand darüber beklagt haben, dass Torben hier nicht den Rest auch noch zeigen musste.
So konnten wir früher zum Mexikaner und den Tag mit alkoholfreien Cocktails und Dips nach Kellners Wahl feiern.
Im Vergleich zu unserem ersten Match war der Sieg hier noch souveräner oder alternativ gesagt deutlicher und früher klar. Das beflügelt natürlich und die Stimmung war super. Und wieso auch nicht? Bislang standen wir bei 2 Siegen aus 2 Spielen, noch dazu hatten wir dabei keine einzige Partie verloren. Nicht, dass wir uns hier schon zu mehr verstiegen (jedenfalls keinesfalls ohne die nächsten 2 Mannschaftspunkte als Voraussetzung), aber bei einem Sieg am Sonntag winkte eine geteilte Tabellenführung. Doch darum muss erst gespielt werden und die gastgebende Mannschaft hatte sicherlich noch Einwände in schachlicher Form einzubringen.
Wie das gelaufen ist, kann man entweder ganz langweilig schon hier (https://ergebnisdienst.schachbund.de/bede.php?liga=2bln&runde=4) einsehen oder man wartet auf den zweiten Teil des Berichtes, der innerhalb der nächsten paar Tage veröffentlicht werden sollte.
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