Eine (Schach-)Wanderung durch Wolfenbüttel

Ein Block auf einen See. Im Hintergrund ist der rechte Spitze eines roten Turmes hinter Bäumen zu sehen.
Bildunterschrift Hauptbild
Der See, an dem alles beginnt. Dieses Mal aus einem anderen Blickwinkel...

Im letzten Artikel gab es nur ein paar Fakten und auch wenn diese für uns recht schön waren, hat man wenig davon. Eher will man doch etwas mit Schach zu tun haben! Dieses Verlangen sollte hier bei dem etwas anders aufgezogenen Rückblick auf das Lessingopen in Wolfenbüttel vom 9.-11. August gestillt werden. Ein bestimmtes Ereignis, was Moritz und mir am ersten Tag widerfuhr (oder man sollte wohl eher sagen, wir uns selbst zufügten...) passte erstaunlich gut zu meiner kleinen Sammlung an schachlichen Ausschnitten, die ich selbst erlebt oder übermittelt bekommen habe. Einzig der Mangel an Fotos von der jetzt schachlich aufgewerteten Erkundung Wolfenbüttels stimmt mich im Nachhinein etwas schade. Aber natürlich wusste der Vergangenheits-Felix noch nicht, was ihm damit entgehen würde. Genug geredet, Zeit für die Wanderung!

 

Die Kaderspieler im gemeinsamen Foto vor der Lindenhalle
Die Kaderspieler. Hintere Reihe von links sind die Wanderprotagonisten Moritz und der Autor Felix. Quelle: NSV.

 

Es ist Freitag Nachmittag. Frisch im Hotel angekommen und ausgepackt, planen Moritz und ich den Ablauf. Das Ergebnis: wir wollen zuerst zur Lindenhalle, um uns am Spielort anzumelden. Dann können wir in Ruhe zurück, etwas essen, uns entspannen und müssen nicht wegen des Meldeschlusses noch mindestens eine halbe Stunde am Spielort warten. Da macht uns die Frau an der Rezeption einen gut gemeinten Vorschlag: statt an der Straße entlang zu gehen, könne man ja auch einen Teil des Sees umrunden und durch den Park gehen. Das ist definitiv grüner und auch nicht langsamer. Die Idee erscheint gut. Zeit, sich nach draußen auf den Weg zu begeben:

 

Bilawer - Hampel 1
Erstmal sammeln, dann loslegen!

 

In meiner Nachmittagspartie der dritten Runde habe ich auch erstmal sorgfältig jeden Kontakt vermieden. Übermäßig schlau war das nicht, zu meiner Überraschung aber auch nicht so schlecht wie erwartet. Ja, der erwartet mich noch eine lange Partie, genau wie zuerst noch eine längere Odyssee. Davon weiß aber niemand und frohgemut wenden wir uns vor dem Hotel links und erreichen den See. Wer den letzten Bericht angeschaut hat, wird wie auch dieses mal von einem Bild des Sees mit einem Turm begrüßt. Letztes Mal hat man den Blick, wenn man sich nach rechts begeben hat. Dieses Mal sieht man den Blick, wenn man sich fälschlich nach links begeben hat. Auf die Idee, mal ein Blick auf Google Maps zu werfen, kamen wir nicht. Das falsche Ergebnis kam auch auf dem Schachbrett vor:

 

Hörstmann, M - Bruns
Es gibt viel zu sehen, da kann man auch mal den Überblick verlieren...

 

Im Vereinsduell von Martin mit Weiß gegen Kai mit Schwarz hatte sich nach dem Herunterblitzen der Eröffnung gezeigt, dass Kai besser wusste, was gut für ihn ist. Inzwischen ist es zwar chaotisch geworden, aber Schwarz steht auf Gewinn. Der richtige Weg wäre rechts herum gewesen: 31...Ta1+ 32.Kg2 (32.Kf2 Ta2+ 33.Kg1 f3 funktioniert auch nicht. Wer will den Bauern denn jetzt noch aufhalten?) Lf1+! 33.Kf3 Lh3! und Schwarz gewinnt die Qualität. 
Ja, aber kann man das denn nicht viel einfacher haben? Das dachte sich Kai auch und spielte 31...Le6?, was zwar auch die Türme aufspießt, jedoch ein Schritt nach links und daher in die falsche Richtung war. Martin konterte hier mit dem einzigen, dafür aber starken Zug 32.Lf7+!, was nach 32...Lxf7 33.gxh6+ den Läufer zurück gewann. Noch wäre nicht alles verloren gewesen und Remis möglich, aber zu allem Überfluss verlor Kai in Zeitnot schließlich noch die Partie. 
Das klingt unheimlich ähnlich, denn wir hätten uns durchaus noch korrigieren können, bevor wir den See verlassen. Aber das taten wir nicht und schritten munter ohne Sorge nach Norden - die Lindenhalle lag allerdings im Süden.

 

Bruns - Braun
Das sieht nach einem schöner Beginn aus, aber man muss es auch richtig fortsetzen.

 

Zur Ehrenrettung von Kai sei gesagt, dass er in seiner ersten Runde durchaus den richtigen Weg einzuschlagen wusste. Der Vorteil steht sicherlich außer Frage, aber es gibt einen Unterschied, ob man die szenische Route nimmt oder direkt zum Ziel gelangt. Weiß macht Nägel mit Köpfen mit dem unerschrockenen 1.f4! exf4 2.Txf4!, was sich nicht von der vermutlich als Abschreckung gedachten Gabel 2...g5 beeindrucken lässt. Zwei Figuren hängen, also was macht man? Richtig, man zieht keine davon! 3.Df3! macht gleich mal Druck auf f6. 3...gxh6 4.Txf6 wirkt mit dem offenen König nicht spielbar, aber sonst kommt gleich der nächste Turm. Es bleibt also nur 3...gxf4 4.Dxf4 und es fällt der Sf6. Mit Läufer und Bauer für die Qualität, dazu dem offenen König, ist die Partie im Grunde gelaufen.

Mit 3/5 erfüllte Kai stets seine Favoritenrolle und neben dem "verkehrten" Ergebnis gegen Martin verlor er nur gegen mich und das nicht, weil er jetzt in irgendeiner Form überspielt worden wäre. Das war stärker, als es auf dem Papier aussah!

Zurück zu unserer Wanderung. Uns gefiel die Umgebung, es war heiß, aber schattig und bald kamen wir noch zu einem schönen Sandstrand mit (geschlossener) Bar. Das Leben war schön:

 

Gottwald - Nolting
Die Stellung möchte wohl jeder mal haben.

 

Dennis im B-Turnier zerstörte glaube ich den ein oder anderen Gegner schnell und brutal. Ansichtig wurde ich jetzt hinterher nur dieses für ihn ästhetisch ausschauenden Finales. Es fehlt im nächsten Zug nur noch a5 und dann kann der weiße König sich abmühen, wie er möchte: es führt kein Weg hinein. In aller Seelenruhe kann Dennis mit dem König anfangen alle Bauern einzusammeln. Mit dem Erfolg sicherte er sich den vierten Sieg und Platz 2. Glückwunsch nochmal!

Wir erreichten die Oker und wie vorher besprochen, folgten wir dieser - weiterhin in die falsche Richtung. Frohgemut passierten wir die Reihe an diversen Fitnessgeräten und kamen an der Justizvollzugsanstalt vorbei. Was eine Vorausdeutung:

 

Lau - Hampel
Die Stellung möchte man bestimmt auch haben!

 

In der ersten Runde sperrte ich meinen Gegner und seine Figuren ebenfalls ein (sicherlich auch mit etwas Mithilfe). Das war aber tatsächlich nicht das letzte, was man von dieser Partie sieht, denn Weiß hatte jetzt doch mal den Drang nach Luft entwickelt. Mit 29.Da5 ging er in meine Hälfte und verlangte von mir nicht nur gut auszusehen, sondern auch etwas damit anzufangen. Am Abend nicht das leichteste Unterfangen für mich... Gewinnen tut natürlich vieles (e3 und Sd7 besonders prominent), aber nach Verbrauch eines nicht unbeträchtlichen Teils meiner Zeitreserven schob ich alles erstmal mit 29...Te5 einen Zug hinaus. Die Spannung steigt...

Weiter ging es mit unserem Spaziergang in das Stadtzentrum von Wolfenbüttel. Eventuell hätte das beginnende Wohngebiet ein Hinweis sein können, doch erstmals ins wilde Entsetzen wurden wir gestürzt, als wir einen Kreisel erreichten. Die Lindenhalle war nicht zu entdecken. Alles wird so kompliziert!

Die nach Eloschnitt wohl zweitstärkste Begegnung und sicherlich die weitaus spannendere ergab sich in Runde 3. Moritz musste mit Schwarz gegen unseren neuen Vereinskameraden Torben Knüdel ran. Es entspann sich eine schnell eskalierende Partie, die dann nach einem Qualitätsopfer in die heiße Phase überging (Kommentare von Moritz):

 

[Event "Lessing Open"] [Site "Wolfenbüttel"] [Date "2024.08.10"] [Round "3"] [White "Knuedel, Torben"] [Black "Gentemann, Moritz"] [Result "0-1"] [Annotator "Gentemann, Moritz"] [SetUp "1"] [FEN "3rr1k1/1p2qp1p/p4p2/3Pp3/P5B1/6Q1/1PP3PP/5R1K w - - 0 25"] [PlyCount "18"] [EventDate "2024.08.10"] 25. Bf5+ {Ich hatte mit Ld7+ gerechnet, mit einer leicht besseren Stellung für Weiß. Torben überraschte mich aber mit dem Zug Lf5+ und ich fühlte mich etwas unwohl, da ich vielleicht etwas übersehen habe. (Anm. des Autors: im Kontext sehr passend)} (25. Bd7+ Kf8 (25... Kh8 $6 26. Bxe8 Rxe8 (26... Rxd5 $2 27. Qb3 $18) 27. c4 $16) 26. Bxe8 Rxd5 $1 {Anm. des Autors: das Manöver hatte außer Stockfish keiner gesehen. Der Läufer läuft eben nicht weg.} 27. Bxf7 Qxf7 $11) 25... Kf8 (25... Kh8 $4 26. Qh4 $18) 26. Qh4 Qd6 (26... Qc7 $5 27. Qxf6 Rxd5 $1 $13) 27. Qh6+ Ke7 28. Be6 $1 {Sehr starker Zug, den hatte ich in der Vorausberechnung nicht gesehen.} Rf8 {Einziger Zug.} (28... fxe6 $4 29. Qg7#) 29. Qxf6+ (29. Rxf6 $5 Qb4 30. h3 Kd6 $1 {Der König muss schnell in Sicherheit gebracht werden.} 31. Bg4+ Kc7 32. Qxh7 Kb8 $13) 29... Ke8 {Hier war ich wieder optimistisch, um auf Gewinn zu spielen.} 30. Bxf7+ {Was sonst?} Kd7 31. Qg7 Kc8 {Der König ist so langsam in Sicherheit und bis zum 40. Zug wird es nun eine Blitzpartie.} 32. Rf6 $1 Qb4 33. h3 $6 {Anm. des Autors: Erst damit kippt die Partie wirklich} (33. c3 $1 Qxb2 34. h3 {Anm. des Autors: In die Feinheiten will ich mich gar nicht erst einlassen...}) 33... Kb8 {Den weiteren Verlauf gibt es jetzt leider nicht} 0-1
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Moritz behielt den Überblick, gewann die Partie und das auch ohne Smartphone. Im Turnier war das natürlich auch zwingend nötig, aber außerhalb gibt es ja kein Handyverbot und Computerhilfe wäre durchaus anzunehmen. Als wir uns schließlich eingestanden, dass wir nicht weiterwussten, hätten wir trotzdem nicht erwartet, was uns Google Maps mit GPS Unterstützung offerierte: wir hatten uns von Anfang an verlaufen!
Tja, ungeachtet des Missgeschickes waren wir weiterhin im Spiel und da wir noch keine Zeitnot hatten, wurden Pläne geändert und an die neuen Gegebenheiten umstrukturiert. Wir machten uns also auf die Suche nach einem Restaurant. Glück im Unglück: wir wurden schnell fündig und das Essen gefiel uns sehr gut!

Glück im Unglück hatte auch Christian. Die Eröffnung verlief in Runde 1 schon nicht nach seinen Vorstellungen und nach mühseliger Endspielplackerei stand endlich ein gewonnenes Turmendspiel auf dem Brett - was er prompt wieder zum Remis vergab. Die Hoffnung war fast verloren, aber nach stundenlangem Verteidigen und mit kaum Zeit auf der Uhr ist gar nichts mehr einfach (Kommentare von mir):

 

[Event "Lessing Open"] [Site "Wolfenbüttel"] [Date "2024.08.09"] [Round "1"] [White "Storm, Max"] [Black "Polster, Christian"] [Result "0-1"] [Annotator "Hampel,Felix"] [SetUp "1"] [FEN "8/8/5RKP/8/8/6k1/4rp2/8 b - - 0 1"] [PlyCount "25"] [EventDate "2024.08.09"] 1... Re6 {Ein letzter Versuch} 2. Rxe6 (2. h7 {Man kann das sogar ignorieren} f1=Q (2... Rxf6+ 3. Kxf6 f1=Q+ 4. Kg7 {Dame gegen h-Bauer mit dem König auf g3 ist dann wirklich Remis}) 3. h8=Q (3. Rxe6 { Wäre eine Überleitung})) 2... f1=Q 3. Kg7 $4 {Das ist die falsche Reihenfolge und verliert} (3. Re4 {Sogar das ist Remis - es kommt nur darauf an, dass Schwarz den König nicht ranbringen kann} Qb1 4. h7 Qxe4+ 5. Kg7) (3. h7 Qf8 4. Re8 {Der Turm kann weg, man muss nur den h-Bauern haben}) 3... Qa1+ 4. Rf6 $6 {Stellt keine großen Schwierigkeiten, obwohl Christians Gewinnführung trotzdem stark ist} (4. Kg8 {Jetzt muss Schwarz das folgende Treppenmanöver finden, sonst remisiert Weiß bei einem Königszug mittels h7 und Gegenspiel} Qa8+ 5. Kg7 Qb7+ 6. Kg6 Qb1+ 7. Kg7 Qb2+ 8. Kg8 Qb8+ 9. Kg7 Qc7+ 10. Kg6 Qc2+ 11. Kg7 Qc3+ 12. Kg6 (12. Kf7 Qh8 {Das kann Weiß auch nicht zulassen}) 12... Qd3+ 13. Kg5 (13. Kg7 Qd7+ 14. Kf6 Kf4) 13... Qd8+ 14. Kg6 Qg8+ 15. Kf5 Kh4 {Und endlich kann Schwarz sich nähern, ohne das Weiß Gegenspiel hat}) 4... Kg4 5. h7 Kg5 6. h8=Q Qxf6+ 7. Kg8 {Schwarz muss solange Schachs geben, bis Weiß bei der Dame auf der 7. Reihe Kg8 spielt, dann gewinnt Kg6. Weiß steht so schlecht, dass man nichts dagegen unternehmen kann} Qe6+ 8. Kf8 (8. Kg7 Qe7+) 8... Qc8+ 9. Kg7 Qd7+ 10. Kf8 Qd8+ 11. Kg7 Qe7+ 12. Kg8 Kg6 {Das ist die bekannte Gewinnstellung. Das Matt ist nicht zu verhindern, selbst wenn Weiß alles versucht:} 13. Qf6+ Kxf6 (13... Qxf6 {Es ist nie zu spät, alles zu ruinieren}) 0-1
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Man nimmt was man kriegt und wir kriegten dann neben dem Essen und der Pause plötzlich noch einmal Regen. Den hatte keiner erwartet und aussitzen war nicht. Schließlich mussten wir also durch und trotzdem zurück zum Hotel. Ich war aber immerhin etwas vorbereitet mit meinem kleinen Regenschirm. Zwar war das nicht die perfekte Lösung dank des Windes, jedoch besser, als gar kein Regenschirm.

 

Lau - Hampel 2
Einiges ist passiert, aber gewisse Grundzüge der Struktur sind noch zu erkennen. Jetzt noch nach Hause bringen!

 

 

So, wie der Regenschirm kaum groß genug für einen war, so ist auch hier der Weg plötzlich erstaunlich eng geworden. Es gewinnt noch 38...Lxg2?!, wo Weiß aber den Damentausch 39.Dxg7+ bekommt. Nach 39...Kxg7 40.Kxg2 Sc3 muss man das Endspiel spielen und so klar sieht es auch nicht aus. Ganz unvorbereitet bin ich aber nicht gewesen und fand hier mit meinen Restminuten den Siegzug: 38...f3! 39.Lxf3 Tf8! Weiß ist erstaunlich paralysiert und steht zum Beispiel dem Eindringen der Dame mit Dh6/8-h4 oder auch wie in der Partie Sf4 hilflos gegenüber.

Ohne weitere Missgeschicke und mit minimalem Schrecken davongekommen erreichten wir das Hotel. Kurze Pause und dann ganz langweilig an der großen Straße entlang. Da geht es immer nur geradeaus. Einmal abbiegen, wenn man überhaupt das erste Mal abbiegen kann und schon da. Puuuh. Wir sind pünktlich, melden und warten dann, bis es endlich losgeht. Aber man trifft ja auch die anderen Freunde und Kollegen und so ist das alles nicht so schlimm.

 

Blick in den fast leeren Spielsaal
Noch ist nichts los, aber Reihen über Reihen an Brettern warten auf die Schachfreunde. Wir sind rechtzeitig da und deshalb dabei.



Zum Ende geht alles gut aus. Moritz wird Dritter, ich gewinne das Turnier. Den Weg am See entlang gehen wir zwar nicht mehr, aber eine Erfahrung haben wir gemacht. Übrigens, zum Ende der Partie ganz vom Anfang hat sich auch alles um 180 Grad gewandelt:

 

Bilawer - Hampel 2
Die eine Figur kann nicht ziehen, die andere kommt nicht ran. Schwarz ist aktiv, Weiß ist passiv und ich gewinne ohne weitere Probleme.

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