Kurz vor dem endgültigen Trendwechsel, im Vordergrund spielt Tobias gegen den späteren Bezirksmeister Wilfried Bode vom Gastgeber
Der Hamelner Schachverein feiert 2020 sein hundertjähriges Jubiläum. Dazu erstmal Glückwunsch! Dies würdigen die Hamelner mit einer Reihe an Veranstaltungen, zum Beispiel jetzt am Jahresanfang mit einem Schnellschachturnier. Der Andrang übertraf die Erwartungen: es nahmen 66 Spieler teil, darunter auch eine Truppe unserer Spieler. Diese Fünf (Ilja, Tobias, der Autor, Frank und Martin: sortiert nach Setzranglistenplatz) konnten sich allesamt berechtigte Hoffnungen auf eine Topplatzierung machen, stellten wir damit doch 50% der Top 10. Man kann schon verraten: hier kann man nicht nur die Startliste heranziehen, sondern auch die Schlusstabelle. Doch bevor wir da ankamen, ging es noch hoch her...
Nach einigen Reden zum festlichen Anlass ging es dann auch noch recht pünktlich los. Neun Runden, 15 Minuten und alles in einem geräumigen Spielsaal war besonders für nostalgische Freunde der zuschlaglosen Bedenkzeit ein Traumtag. Für manche fing das Turnier gut an, so notierten Ilja, Tobias und Frank nach drei Runden immer noch bei 100%. Andere hatten es da doch schwieriger:
Dank eines den Vorabend füllenden privaten Treffens (beteiligt waren Ilja Tobias und ich) fühlte ich mich doch nicht so ganz auf der Höhe, jedenfalls hatte ich mit Konzentrationsaussetzern zu kämpfen, die es doch sehr überraschend machten, dass ich bis dato tatsächlich noch keine Partie verloren hatte. Krassestes Beispiel:
In Runde 4 kam es dann zum Vereinsduell zwischen Ilja und Frank. Mit einer starken Leistung, die Frank laut eigener Aussage unter anderem seiner Beschäftigung mit der Variante vor etwa 20 Jahren und Fritz 6 (oder einem ähnlich alten Engine) verdankte, bezwang er den Elofavoriten. Die Partie hat der Sieger selbst kommentiert:
[Event "Hameln Schnellturnier"]
[Site "Hannover"]
[Date "2019.12.02"]
[Round "4.1"]
[White "Schneider, Ilja"]
[Black "Buchenau, Frank"]
[Result "0-1"]
[ECO "E14"]
[WhiteElo "2500"]
[BlackElo "2277"]
[Annotator "Buchenau,Frank"]
[PlyCount "66"]
[EventDate "1986.01.17"]
[EventType "tourn"]
[EventRounds "13"]
[EventCountry "GER"]
[EventCategory "12"]
[SourceVersionDate "2016.12.28"]
{Erste Plätze bei Schnellturnieren sind für mich seltene Naturereignisse,
vergleichbar mit Meteoriteneinschlägen oder jungfräulichen Geburten.
Hinterher reibe ich mir immer verdutzt die Augen. Wie konnte es soweit kommen?
Dabei ist die Antwort ganz einfach: Ilja bürsten! Jedenfalls war das in den
letzten drei Fällen der Schlüssel zum Erfolg ;-)} 1. d4 e6 2. Nf3 Nf6 3. e3
b6 4. Bd3 Bb7 5. c4 c5 6. O-O g6 {Der etwas langsame weiße Aufbau ermöglicht
Schwarz diese kleine Extravaganz.} 7. Nc3 Bg7 8. d5 {Der Hauptzug in dieser
Stellung.} exd5 9. cxd5 Nxd5 {Keine Angst vor Gespenstern! Weiß drohte, den
damenindischen Läufer mit 9.e4 einzuzementieren und eine vorteilhafte
Benoni-Struktur aufzubauen.} 10. Nxd5 Bxd5 11. Bxg6 hxg6 12. Qxd5 Nc6 13. Rd1
$6 (13. e4 {wird öfter gespielt und sieht energischer aus. Nach dem Partiezug
fehlt dem Weißen Dynamik und er muss ein weiteres Tempo aufwenden, um seinen
Läufer zu entwickeln.}) 13... Qe7 14. e4 Qe6 15. Rb1 Qxd5 {Normalerweise ist
ein Übergang ins Endspiel gegen Ilja mit langem, oft agonischem Leiden
verbunden. Hier jedoch tauschte ich die Damen a tempo. Ich konnte mich an
mehrere Schnellpartien gegen Fritz 6 aus dem Jahr 2001 erinnern, in denen ich
diese Variante verwaltete. Damals war ein solches Unterfangen noch nicht
völlig sinnentblößt und die vage Erinnerung an diese in einer ablegenen
Gehirnwindung abgespeicherten Stellungsbilder kamen mir nun zugute.
(Wahrscheinlich lüge ich übrigens und spielte diese Trainingspartien 1998
gegen Schredder 3 oder Rebel 5 - wer weiß das schon so genau...)} 16. exd5 (
16. Rxd5 Nb4) 16... Nd4 {Schwarz hat sich erfolgreich entlastet.} 17. Nxd4 Bxd4
18. Be3 Bxe3 19. Re1 Rh5 {Dieses Motiv hatte ich noch gespeichert. Meine
Silikonbüchse (Vorsicht! Ich habe inzwischen aufgerüstet!) favorisiert hier
allerdings das freche Ke7 und dieser plumpe Annäherungsversuch kann dem
Bauern d5 schnell sehr lästig werden.} (19... Ke7) 20. Rxe3+ Kf8 21. Rd1 Re8
22. Rxe8+ Kxe8 23. d6 {Der Pulverdampf hat sich verzogen. Eben noch dominierte
Weiß die d-Linie - jetzt klebt er an seinem schwachen Bauern. Ilja tritt die
Flucht nach vorne an.} Re5 $1 {Hier dämmerte mir allmählich, dass ich
Vorteil hatte.} 24. Kf1 f5 25. Rd3 Kf7 $2 {25...Te6! hätte das folgende
Gegenspiel verhindert.} 26. Ra3 {Auf 26...a5 würde 27.Tb3 folgen - hier zeigt
sich die Idee von 25...Te6.} Ke6 27. Rxa7 $2 {Naheliegend, aber falsch! Nötig
war 27.Tg3, um nach Kf6 nach a3 zurückzukehren. Wenn Schwarz dann mehr als
Remis will, müsste er zulassen, dass der weiße König seinem Verlies
entkommt.} (27. Rg3 Kf6 28. Ra3 c4 (28... Rd5 29. Rxa7 Rxd6 30. Ke2 g5 $11) 29.
Rxa7 Ke6 30. Rb7 Rb5 31. b3 cxb3 32. axb3 Rxb3 33. Rb8 g5 $15) 27... Kxd6 28.
Ra3 {Jetzt ist Weiß zwar sein Sorgenkind los, nicht aber seinen Kummer.
Schwarz schickt sich nun an, seine Majonäse im Zentrum zu mobilisieren.} c4
29. Rg3 Re6 30. Re3 $5 {Löst wenigstens das Problem des abgeschnittenen
Königs.} Rf6 $5 {Eine praktische Entscheidung. Das Bauerndendspiel konnte ich
nicht einschätzen.} (30... Rxe3 {Anmerkung vom Autor: da mich das
Bauernendspiel interessiert hat hier eine kurze Analyse, denn tatsächlich
kann Schwarz bei sehr genauem Spiel gewinnen (Züge mit Ausrufezeichen sind
einzge Züge zum Gewinn)} 31. fxe3 b5 $1 {nur so} 32. Ke2 (32. a3 Kd5 (32... g5
{alternativ auch möglich} 33. Ke2 Ke5 $1) 33. Ke2 Ke5 $1 {und man kann den
Weißen geschickt austemperieren} 34. Kf3 (34. h4 Ke4 $1 35. Kd2 d5 36. Ke2 f4
$19) 34... g5 $1 35. Ke2 d6 $1 36. Kf3 d5 $1 37. Ke2 Ke4 $1 38. Kd2 f4 $1 39.
exf4 gxf4 $1 40. Ke2 d4 41. Kd2 d3 $19) 32... Ke5 $1 33. g3 (33. a3 g5 $1 $19)
33... b4 $1 34. a4 d5 $1 {und man hat den a-Bauern unter Kontrolle} 35. a5 Kd6
$19) 31. b3 $2 {Das erleichtert den Job des Schwarzen. Eine schnelle
Zentralisierung des Königs hätte den weißen Nachteil in Grenzen gehalten.}
b5 32. bxc4 bxc4 33. a4 Kc5 {und die beiden verbundenen Freibauern erwiesen
sich als zu stark., weshalb Ilja kurze Zeit später die Waffen streckte. Ein
Hoch auf Fritz 6!} 0-1
Im Anschluss legte er auch noch Tobias aufs Kreuz und führte das Tableau damit alleine an. Konkurrenz gab es trotzdem noch, sei es der unverwüstliche Hamelner Wilfried Bode, der ihm Remis abnahm oder auch Alexander Izrailev (ebenfalls Remis), gegen den ich in umgekehrter Folge der Ereignisse zuerst eine Mehrfigur besaß und dann trotzdem noch verlor.
Mein schachliches Niveau war bis dahin noch nicht, was ich mir vorgestellt habe, doch am Nachmittag konnte ich den schwachen Start in ein Schweizer Gambit ummünzen und mit 4 Siegen am Stück wieder Anschluss an die Spitzengruppe gewinnen, darunter mal ausnahmsweise mit einer gut gespielten Partie:
Unsere Abendgesellschaft schien uns neben dem Spaß auch ein leichtes Handicap verschafft zu haben, denn sowohl Tobias als auch Ilja holten sich noch eine zweite Niederlage ab und waren im Siegessinne aus dem Rennen. Über den Turniersieg konnte ich dann plötzlich mitentscheiden, saß ich doch in der letzten Runde an Brett 1 Frank gegenüber. Die Motivation hoch, die Qualität gering und ich stand doch recht schnell zeitlich und materiell mit dem Rücken zur Wand. Zähigkeit und Weiterkämpfen waren aber meine Stärke in diesem Turnier und Frank gelang es nicht seinen Mehrbauern zu verwerten. Punktmäßig schloss Alexander Izrailev damit noch zu Frank auf, die Buchholz sprach aber für unseren Schnellschachspezialisten, dem damit ein äußerst verdienter Turniersieg gelang!
Fast schon überraschend wies ich dann eine bessere Buchholz als Ilja auf, da meine Gegner zwar laut Setzliste häufiger niederiger standen, dafür aber jeweils starke Turniere spielten. Ein seltener Fall, ist die Buchholz doch normalerweise mein erklärter Gegner, jedenfalls wenn sie wichtig wird. Tobias und Martin befanden sich einen halben Punkt dahinter und blieben nach Wertung außerhalb der ersten fünf Preisränge.
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