Turmendspiel Kardoeus – Schneider (10/2021): Versuch einer Übersicht

Ein Schachbrett mit der Endspielstellung

Im Bericht zum Spieltag gegen den SV Werder Bremen III schrieb ich noch zur Partie von Ilja am ersten Brett

"Sicherlich eine interessante Partie für eine Endspielanalyse!"

Da hätte ich nicht erwartet, einige Zeit darauf eine E-Mail von einem Werderaner zu erhalten, der mit Mannschaftskameraden genau dies getan hatte. Nicht nur das, sondern gleich eine ausführliche Anaylse mit Erkenntnissen gab es anbei. Vielen Dank an Prof. Dr. Reiner Franke für die Zusammenfassung der Bremer Analyse! Es ist doch schön, wenn es nicht nur den Kampf am Brett gibt, sondern auch solchen Austausch im Nachhinein!

Ich wünsche viel Spaß beim Nachspielen und vielleicht lässt sich daraus auch etwas für die spielerische Zukunft lernen.

[Event "HSK Lister Turm -- SV Werder Bremen III"] [Site "?"] [Date "2021.10.24"] [Round "?"] [White "Kardoeus, David"] [Black "Schneider, Ilja"] [Result "0-1"] [ECO "C42"] [WhiteElo "2186"] [BlackElo "2484"] [Annotator "RF"] [SetUp "1"] [FEN "8/2R2pk1/2p5/r2p1K2/8/8/8/8 w - - 0 49"] [PlyCount "56"] [EventDate "2021.??.??"] {Eigentlich haben Turmendspiele mit wenigen Bauern doch klare Konturen. Trotzdem kann man sich, ob oft zitierter "Clubspieler" oder IM, immer noch leicht verheddern. --- Es ist zweifelhaft, ob selbst Theseus in dem sich im folgenden ergebenden Labyrinth noch den Minotaurus gefunden hätte, geschweige denn auch wieder zurück. Deshalb gibt es im Anschluss noch eine Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse und Ideen für beide Seiten zum Nachlesen.} 49. Rxc6 {Dies ist das Ende einer kleinen Abwicklung. Davids Gegner fuhr nun fort mit} Ra1 {Nächster Zug von Weiß?} 50. Rc2 {Tja, der nun nicht. --- "Danke", sagt ein IM und spielt .. .} (50. Rd6 {Im Prinzip, wenn überhaupt noch was gehen sollte, muss dies richtig sein: Turm hinter (und nicht vor) den Bauern. Allerdings: kann der schwarze König ihn nicht wieder von dort vertreiben?} Rf1+ {Wieder gibt es nur einen einzigen richtigen Zug für Weiß:} 51. Kg4 $1 {Zusammenfassung der Gewinnabspiele nach 51.Kg5 und 51.Ke5: dort steht der weiße König vor dem d-Bauern [f-Bauern] und wird durch Te1 von dem f-Bauern [d-Bauern] abgeschnitten, der seinerseits vom schwarzen König unterstützt wurde (und zwar weil er vor ihn gelangen kann). Das kann Weiß mit 51.Kg4 verhindern.} ( 51. Kg5 $2 f6+ 52. Kg4 {Macht das denn einen Unterschied zu gleich Kg4 ?} Rg1+ 53. Kf4 Rg5 {Die nun mögliche Seitswärts-Deckung von d5 ist der Unterschied. Anschließend kann der schwarze König den weißen Turm von seiner aktiven Position vertreiben, und dann wird es schon weitergehen ... Intuition akzeptiert?} 54. Rd7+ {Next?} Kf8 $2 {Überraschung, der ist falsch! Heißt die vorherige Intuition, jedenfalls in ihrer suggerierten Allgemeingültigkeit, war auch falsch.} (54... Kg6 $1 55. Rd6 (55. Rd8 Kf7) 55... Rf5+ 56. Ke3 Re5+ 57. Kf4 (57. Kd4 Kg5 $19 58. Rd8 Re1 59. Rxd5+ f5 {Mit dem vom f-Bauern abgeschnittenen weißen König ist das eine theoretische Gewinnstellung (oder?) .}) 57... Kf7 $19 {Rechts blinken und links abbiegen. Und zwar jetzt, wo der schwarze Turm den weißen König vom d-Bauern abgeschnitten hat.} 58. Ra6 Ke7 59. Ra7+ (59. Rb6 {Etwas zäher ist es, wenn Weiß den Turm auf der 6. Reihe belässt. Aber auch dann kann Weiß den allmählichen schwarzen Terraingewinn nicht verhindern. (Es gibt später eine Stellung. wo dies doch möglich ist, und zwar weil dort der weiße König aktiver auf f5 steht.) Zum Beispiel:} Re6 60. Rb5 Rd6 61. Ke3 d4+ 62. Kd3 Ke6 63. Rh5 Rd8 64. Rh1 f5 65. Re1+ Kf6 66. Rf1 Rd7 67. Rg1 {Wenn Weiß den Vormarsch des f-Bauerns unterbinden will, muss der Turm auf der 1. Reihe bleiben.} Re7 $5 {Deswegen kleiner Themenwechsel.} 68. Kxd4 (68. Rf1 Re4) 68... f4 $19 {Mit dem vom f-Bauern abgeschnittenen weißen König hat Schwarz eine theoretische Gewinnstellung erreicht.}) 59... Kd6 60. Ra6+ Kc5 61. Rxf6 Re8 {Mit dem vom d-Bauern abgeschnittenen weißen König hat Schwarz eine theoretische Gewinnstellung erreicht.}) 55. Ke3 $8 Ke8 56. Ra7 $11 {Die angesprochene Intuition hatte außer acht gelassen, dass der schwarze König sich so auf der 8.Reihe hat abschneiden lassen.}) (51. Ke5 $2 f6+ 52. Kd4 (52. Ke6 Kg6 53. Rxd5 Re1+ 54. Kd7) 52... Re1 $19 {ist ähnlich wie zuvor.} ) 51... Rd1 52. Kf5 $11 Kf8 53. Rd7 (53. Kf6 Ke8 54. Ra6 {Abschneiden auf der 6. Reihe geht auch noch, wegen des agressiven weißen Königs (muss aber nicht sein).} Kd7 55. Ke5) 53... Ke8 54. Ra7 $11 {Wie schon etwas weiter oben, den schwarzen König auf der 7. Reihe abschneiden. Allerdings wird hier der d-Bauer nicht von der (Königs-) Seite gedeckt.} d4 (54... Re1 55. Ra5 $11) 55. Ke5 {Kontakt mit dem Bauern halten. Ke4 geht natürlich genauso gut.} d3 56. Ke4 d2 (56... f5+ 57. Ke3 $11 (57. Kxf5 $4 d2 $17) 57... Kf8 58. Ra5 $11) 57. Ke3 f5 58. Ke2 $11) 50... Rd1 $2 {Oh---der Postman rings twice, offering White a second chance.} (50... Ra7 $19 {Elementar seit spätestens Tarrasch. Auch ein IM kann sein Endspielwissen nicht immer (jedenfalls nicht immer sofort) "abrufen".}) 51. Rg2+ $8 {Soweit auch richtig.} (51. Ke5 {Nicht leicht zu sehen, dass der falsch sein soll.} f6+ 52. Ke6 {Jetzt gibt es einen einzigen Gewinnzug für Schwarz, alles andere ist remis. Der erweist sich aber erst als solcher, wenn man nach Kxd5 noch einen einzigen Zug findet.} Rg1 $5 53. Kxd5 { Und der nun zu findende einzige Zug ist alles andere als naheliegend.} Rg4 $1 $19 (53... Re1 $2 {Schneidet zwar den weißen König vom f-Bauern ab, aber der schwarze König kann nicht hinreichend aktiviert werden.} 54. Rg2+ $11 Kf7 { Ein weißer Turmzug würde das Remis jatzt allerdings wieder aus der Hand geben:} 55. Rg3 $2 (55. Rf2 {Am einfachsten, den f-Bauern am Vorwärtskommen hindern.} Kg6 56. Rg2+) (55. Ra2 {Das ist etwas more sophisticated. Der f-Bauer kann hier zwar vorrücken, aber das nützt ihm nichts:} f5 (55... Kg6 56. Rg2+) 56. Ra6 $8 $11 {Zum Beispiel:} Kg7 (56... f4 57. Ra4) 57. Kd4 f4 58. Rb6 f3 59. Rb2 Re2 60. Rb3 f2 61. Rf3 Kg6 62. Kd3 Ra2 63. Ke3 $11) 55... f5 $19 ) 54. Ra2 Kg6 55. Rf2 Kg5 56. Rh2 f5 $19 {und der Bauer ist nicht mehr aufzuhalten.} 57. Rh8 Re4) 51... Kf8 52. Re2 {Frei nach Katja Epstein: "Wunder gibt es immer wieder. Wenn sie dir begegnen, Musst du sie auch sehen!"---Hiermit hat Weiß sich leider verguckt.---Zum Trost, nun ist es Schwarz, einen einzigen richtigen Zug zu finden.} (52. Ke5 $8 $11 {Richtig hingeguckt (aber das allein reicht noch nicht).} Ke7 {Achtung jetzt, es gibt nur einen richtigen Zug.} 53. Rg7 $1 {Um auf den zu kommen, muss man vorher realisiert haben, dass Weiß nicht f6+ zulassen darf, weil damit der weiße König den Kontakt zum Bauern d5 aufgeben muss. Aber auch danach kann Weiß immer noch (leicht) fehlgreifen.} (53. Rg3 $2 f6+ 54. Kf4 Re1 $19) 53... d4 54. Rg8 (54. Ke4 $2 Ke6 $19 {Diese Aktivierung darf man dem schwarzen König nicht erlauben.} 55. Rg8 f5+ 56. Kf3 (56. Kf4 Rf1+ 57. Kg3 Rg1+) 56... Rd3+ 57. Kf2 Ke5 {(--> Zug 53)}) (54. Rh7 $11 {Genauso gut wie 54. Tg8, und es geht auch ähnlich weiter.}) 54... d3 55. Ke4 d2 56. Kd3 Ke6 57. Ke3 {Den Gefallen mit Tg2xd2 tut Weiß dem Schwarzen natürlich nicht.} Kf5 58. Rg7 (58. Rd8 $2 Re1+ 59. Kxd2 Re5 $19) 58... f6 59. Rg8 Re1+ {Noch ein letzter Versuch.} 60. Kxd2 Re6 {So, der weiße König ist vom f-Bauern abgeschnitten und der schwarze König kann ihn von vorn unterstützem. Und trotzdem Remis? --- Ja, weil der Bauer noch auf der 6. Reihe steht und der weiße Turm nach f1 kommt.} (60... Re4 61. Rg1 Kf4 62. Rf1+ Kg5 63. Rg1+ Rg4 64. Ra1 $11) (60... Re5 61. Rg1 Kf4 62. Rf1+ Kg5 63. Rg1+ Kh5 64. Rh1+ Kg4 65. Rg1+ Kh3 {Und was ist nun richtig und was falsch?} 66. Kd3 {!} (66. Rf1 f5 $19 {Aus diesem Grunde war der schwarze Turm nach e5 gegangen. Da er nicht gleich vom weißen König belästigt werden kann, ist f4 nicht mehr zu verhindern.} 67. Kd3 Kg2 68. Rf4 Kg3 69. Rf1 f4) 66... f5 67. Kd4 {Wenn der angegriffene Turm nun die e-Linie verlässt, gelangt der König vor den Bauern.} Re6 (67... Re4+ 68. Kd3) 68. Rf1 Kg4 69. Rg1+ Kf3 70. Rf1+ $11) 61. Rg1 {Der einzige!---Der Punkt ist, dass der Turm noch genügend Felder vor dem schwarzen Freibauern hat.} Kf4 (61... Re4 62. Kd3 Ke5 63. Ra1 f5 64. Rg1 Kf4 65. Rf1+ $11) 62. Rf1+ Kg3 63. Kd3 $11 { Nun muss es aber ein Königszug sein. Psychologisch mag es naheliegend sein, weiter mit dem weißen Turm zu agieren. Das gibt dem Schwarzen aber die Gelegenheit zu f5 und ist daher falsch.} (63. Rg1+ $2 Kf2 64. Rg6 Re2+ 65. Kd3 f5 $19) (63. Rf5 $2 Kg4 64. Rf1 f5 65. Rg1+ Kh3 $5 66. Rf1 Re5 67. Kd3 Kg2 68. Rf4 Kg3 69. Rf1 f4 $19)) 52... d4 {Und der ist es nicht. Schwarz gibt das Geschenk zurück.} (52... Rh1 {! Aber warum soll das jetzt so toll sein?} 53. Re3 (53. Kg5 Rg1+ 54. Kf5 Rg6 $19 55. Re1 Rd6) (53. Rd2 Ke7 $19 54. Rxd5 Rh5+ 55. Ke4 Rxd5 56. Kxd5 Kf6 $19) 53... Rh5+ 54. Kf4 f6 $19 {Dieses Thema kam schon mal vor.}) 53. Ke4 f6 54. Kd5 Kf7 {Bis hierhin OK. Aber nun muss Weiß mal wieder einen einzigen Zug finden:} 55. Rf2 {Der letzte Fehler, der die Partie entscheidet. Aber wer wirft hier noch den ersten Stein?} (55. Rg2 $1 { Um den König an der Unterstützung des f-Bauerns zu hindern.} d3 56. Ke4 Ke6 57. Rg6 d2 58. Ke3 Kf5 59. Rg8 $11) 55... Kg6 {Zwar der einzige zum Gewinn führende Zug, aber leider liegt der auch auf der Hand.} 56. Rg2+ Kf5 57. Rf2+ Kg5 58. Ke4 (58. Rg2+ Kf4 59. Rf2+ Ke3 60. Rxf6 d3 $19) 58... Re1+ $8 {Damit kommt Schwarz leider auf das Kernthema zurück: den weißen König auf der e-Linie vom anderen Bauern abschneiden und diesen mit Unterstützung des schwarzen Königs voranbringen.} (58... d3 $2 59. Rg2+ $8 $11 (59. Rf5+ $2 Kg6 $19 60. Rf2 f5+ $8 $19 {Zum Beispiel:} 61. Ke3 Re1+ 62. Kf3 Re4 63. Rd2 Rd4 $19 ) 59... Kh5 60. Rf2 Kg6 61. Rg2+ Kf7 62. Rh2 $5 Ke6 (62... Re1+ 63. Kxd3 f5 { Der weiße König ist wieder vom f-Bauern abgeschnitten und dieser steht auch schon auf f5. Zum Glück befindet sich der schwarze König noch hinten. Deswegen:} 64. Re2 $11 (64. Rh6 $11 {Das hat natürlich auch was.})) 63. Rh6 d2 64. Ke3 Kf5 65. Rh2 $11) 59. Kxd4 f5 60. Kd3 Kg4 61. Kd2 Re8 62. Rg2+ Kf3 63. Rg1 f4 64. Rg7 Kf2 65. Rf7 f3 66. Rf6 Rd8+ 67. Kc2 Ke2 68. Re6+ Kf1 69. Rg6 f2 70. Rg7 Rd5 {Zum Schluss ein 500 Jahre alter Vorschlag von Luis Ramirez de Lucena. --- Falsch: jedenfalls in dem Sinn, dass er der Allgemeinheit erst 1634 in einem Buch von Alessandro Salvio mitgeteilt wurde. Quelle: https://www. chesshistory. com/winter/winter45.html#5534._Fischer_quote , diesen Link eingeben und dann bis "#5536" etwas nach unten scrollen. (Wenn man mal etwas klugscheißen will.)} 71. Kc3 Ke2 72. Re7+ Kf3 73. Rf7+ Ke3 74. Kc4 Rd4+ 75. Kc3 Rf4 76. Rxf4 Kxf4 0-1
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Was können wir versuchen, aus den Irrungen und Wirrungen Lehrreiches zu extrahieren?

Gewinn-Konstellationen für Schwarz:

  1. Am einfachsten, der schwarze Turm gelangt hinter den d-Bauern.
  2. Der schwarze Turm auf der e-Linie schneidet den sich auf der d-Linie befindlichen weißen König vom f-Bauern ab und dieser (schon genügend weit vorgerückt!) wird vom schwarzen König unterstützt.
  3. Der schwarze Turm auf der e-Linie schneidet den sich auf der f-Linie befindlichen weißen König vom d-Bauern ab und dieser wird vom schwarzen König unterstützt.
  4. Der schwarze Turm deckt den d-Bauern von g5 aus, wenngleich danach noch einiges an Arbeit zu leisten ist (etwa Übergang zu G2 oder G3).
  5. Der weiße König hat den Bauern auf d5 geschlagen, wird aber vom schwarzen Turm auf der 4. Reihe aufs erste vom Rückzug abgeschnitten (nach Aktivierung des schwarzen Königs später Übergang zu G2).

Remis-Konstellationen für Weiß:

  1. Unterstützt durch einen aktiven weißen König auf f5 oder f6 (aber auch nur dann!) schneidet Weiß den schwarzen König auf der 6. oder sogar 7. Reihe vom Geschehen ab. Hierbei hat sich der f-Bauer noch nicht von f7 fortbewegt.
  2. Bei weißem König auf e5 versus schwarzem König auf e7 und Bauer auf f7 verhindert Tg7 (Th7) sein Vorrücken. (Auch nach d5-d4 hält der König auf e5 noch möglichst lange den schwarzen König im Zaum.)
  3. Wie G2, aber mit dem Bauern noch auf f6, gelangt der weiße Turm rechtzeitig auf die Grundreihe, um von dort den schwarzen König mit Schachs zu behelligen, sobald sich dieser anschickt, f6-f5 zu unterstützen. Marschiert er runter bis zur 3. oder 2. Reihe, wird der f-Bauer mit Tf5 gestoppt (oder geschlagen, wenn nicht mit Te6 gedeckt).
  4. Wie G2, der f-Bauer schon auf f5 aber der König noch auf f7; dann ist (der Abtausch mit) Te2 möglich, oder Th6.

Psychologisch am schwierigsten ist wohl ein Überwechseln von den vertikalen Ideen zu einem horizontalen Thema.

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