Eine neue Saison geht in der Regel einher mit dem Motiv der Wiederkehr – man trifft einmal im Jahr die gleichen Gegner, besucht die gleichen Orte, verflucht die gleichen Eröffnungen.
In diesem Jahr gibt es für den HSK Lister Turm allerdings Neuland zu entdecken. Wie von Felix bereits vor ein paar Monaten freudig angekündigt (https://schachklub-hannover.de/index.php/hemden-raus-aufstieg-vor-spieltag-1), hat die erste Mannschaft in diesem Jahr zum ersten Mal seit 2016/2017 wieder das Privileg, die 2.te Bundesliga Nord unsicher zu machen.
Also nix da mit Gewohnheit! Im Gegenteil gab es im Vorfeld eine Reihe von Sachen zu klären - der organisatorische Overhead nach einem Aufstieg ist nicht klein zu reden. So müssen u.a. zusätzlich Spielervereinbarungen unterschrieben, Übernachtungen organisiert und Aufstellungen ausrambolt werden. Und auch sonst ist der Job eines Mannschaftsführers ja schon kein einfacher. Mit zittrigen Händen wird eine Aufstellung geplant, die jederzeit von einer WhatsApp um 2h morgens zunichte gemacht werden kann. Bei Personalmangel wird das eigene Telefon zum Feind, jedes Klingeln kündet vom drohenden Verrat, man selbst pendelt irgendwo zwischen Hiob und Paria. Das Dauermaskottchen Corona (ebenfalls mit Saisonstart im Herbst) tut sein übriges, um Unsicherheiten aufrecht zu erhalten.
Doch Mannschaftsführer Dennes Abel kann sich glücklich schätzen, ist er doch ganz im Gegenteil Hüter einer großen Herde junger, hochmotivierter und in Freundschaft verbundener Schachschafe. So wurde im Vorfeld viel gemeinsam geplant, organisiert und besprochen, so dass sich trotz des ein oder anderen Neuzugangs bereits eine so tiefe Eingeschworenheit einstellte, als würde man schon seit Jahren zusammen zocken. Im ersten Mannschaftskampf debütierten mit Jakob, David, Jan und Markus schlussendlich nicht weniger als vier unserer Neuzugänge, und drei unserer Spieler würden ihr allererstes Zweitligaspiel bestreiten. Kurz gesagt: Alle waren neugierig, heiß, hungrig, hatten Bock.
In der zweiten Bundesliga gelten i.d.R. Doppelspieltage (Sa + So), in denen sich je zwei Reisepartnerduos an einem Ort treffen und dort ein Wochenende lang gegenseitig verprügeln. Darüberhinaus gibt es einen Einzelspieltag, in denen sich die Reisepartner einmal auf dem Schachbrett sagen können, was sie schon die ganze Saison beim gemeinsamen Reisen genervt hat. Unser Reisepartner in diesem Jahr wird der SV Werder Bremen sein, und unser Duell stand gleich zu Beginn am vergangenen Sonntag an. Doch eins nach dem anderen: Alles begann an einem...
SAMSTAG
Da vor etwa zweieinhalb Jahren die normale Zeitrechnung ausgesetzt hat, können selbst so einfache Dinge wie der Start einer neuen Saison für den ein oder anderen doch überraschend kommen. Unsere motivierte Truppe hatte den Termin hingegen fest im Blick, und jeder verbrachte die Tage zuvor auf seine Art und Weise. So kam Youngster Jan hoch entspannt aus seinem Inselurlaub zurück, während Torben sich taktisch klug bereits zwei Wochen vorher Coronainfektiös selbst matt gesetzt hatte, und so genesen wieder auf der Matte stehen konnte. Am schlimmsten hatte es Felix getroffen, der bereits seit Tagen kein Internet mehr hatte und dennoch so nett war, sein nun sinnlos gewordenes Leben nicht vorzeitig an den Nagel zu hängen. David hingegen hatte die Covid-Zeit clever dafür genutzt, seinen eigenen Sekundanten Rasmus groß zu ziehen, der ihm für dieses Wochenende vorbereitend zur Seite stehen würde.
Mit dieser sehr individuellen Historie lockte es unseren bunten Haufen also letztes Wochenende nach Bremen. Wir reisten schon am Tag vorher an, und das gegenseitige schachliche Abklopfen, der lange Spaziergang an der Weser und der gemeinsame Restaurantbesuch zementierten unseren Teamspirit, während Jans ansteckender Optimismus unser aller Motivation sukzessive wachsen ließ. Lokalmatador David konnte mit seiner Expertise glänzen und führte uns ins exzellente vegane Etablissement 'Vengo', deren diverse Currys unserer hohen Vegetarierdichte mehr als nur gerecht wurden.
Der erste Härtetest ergab sich dann noch am späten Abend, als wir in der Hotellobby von einem UNO-spielenden Pärchen zum Schachduell aufgefordert wurden. Doch auch diese Hürde konnte schlussendlich erfolgreich genommen werden. Was sollte jetzt noch schief gehen? Und dann war er da. Der langersehnte...
SONNTAG
Eins der Hauptthemen am Vortag war natürlich die Diskussion darüber gewesen, auf wen man morgen denn nun genau treffen würde. Bremen spielte zuletzt als großer 6-er Monolith, aber man weiß nie, ob sie ihren Kader nun oben oder unten vervollständigen würden – alles war möglich. Somit entbrannte ein großes Rätselraten hinsichtlich der Frage, wieviel sich aus der Aufstellung von Werder I am Samstag jetzt für die Situation am Sonntag ableiten ließ. Das Schreckensgespenst Corona bedrohte uns zudem ja ebenfalls alle, und die sprachlichen Schwierigkeiten (bei Werder sind Collin und Kollen fast nebeneinander aufgestellt) gaben uns den Rest. Wer würde uns morgen die Tür aufmachen – das Urgestein Gennadij Fish, der sich mutmaßlich im Urlaub befindliche Hannes Ewert – oder doch die lebende Legende Olaf Steffens?
Nunja. Als sich dann am Sonntag 16 aufgestellte Schachfreunde in der schönen Werderhalle trafen, konnte man wohl guten Gewissens sagen, dass beide Seiten genügend überrascht von der Aufstellung des Gegners waren:
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2428 |
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2416 |
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10 |
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2396 |
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2394 |
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5 |
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2355 |
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FM |
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2359 |
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2326 |
FM |
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13 |
IM |
2355 |
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2278 |
10 |
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14 |
FM |
2292 |
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2315 |
FM |
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17 |
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2206 |
− |
2273 |
12 |
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18 |
2174 |
− |
2294 |
IM |
13 |
Werder hatte wider Erwarten von unten aufgefüllt, was sich unter anderem auf einen kurzfristigen Ausfall eines Spitzenbrettes zurück führen ließ (Corona!).
Von der Aufstellung her versprach es nun also, ein äußerst spannender und knapper Mannschaftskampf zu werden (Erwartungswert 4.07 – 3.93 Punkte für uns!). Lediglich Markus hatte ein gewisses Elo-Übergewicht zu vermelden, auch wenn sein junger Gegner David Kardoeus als absoluter Vielspieler nicht ungefährlich war.
Dann war Anpfiff – und Ruhe. Als Spieler, der sich auch vor Auftritten in die Landes- und Verbandsliga nicht zu schade war, ist für mich der Geräuschpegel das deutlichste Markenzeichen der höheren Ligen. Es lag eine konzentrierte und einnehmende Stille über dem Saal:
Damit war die Bühne bereitet für...
DAS MATCH
Ließ man nach 1-2 Stunden seinen Blick über die Bretter schweifen, kam man schnell zum Ergebnis: heute war tatsächlich was zählbares drin! Bei den Weißspielern demonstrierten Dennes und Jan hartes „Serve-and-Volley“ Vorteilssschach, bei den Schwarzbrettern konnte vor allem Markus früh das Spiel an sich reißen. Zwar konnte man sich ein bisschen über Torbens Figurenkonstellation, Jakobs Zeiteinteilung oder Tobis Zentrum Gedanken machen, aber überall wirkte es so, als hätten die Protagonisten alles unter Kontrolle, und zumindest nach der Eröffnung standen wir nirgendwo gegen die Wand.
Den Führungstreffer erzielten wir dann aber völlig überraschend woanders, nämlich an der Fanbasis. Werder hatte hier mit Abteilungsleiter Dr. Oliver Höpfner einen Kiebitz der allerersten Güteklasse aufgeboten. Doch mit dem Auftritt von Davids Sekundantenteam (Partnerin & Kind) erhielten wir die Fanhoheit im Auswärtsspiel (Höpfner – Höffer 1:2), was sicherlich noch einmal einen Schuss mehr Motivation bedeutete.
Und irgendwann trudelten die ersten Ergebnisse ein:
13 |
IM |
2355 |
½ |
: |
½ |
2278 |
10 |
IM Christian Richter und der Autor dieser Zeilen hatten bislang nur im Blitz und Schnellschach, dort aber bereits gefühlt Hunderte Male stets intensiv die Klingen gekreuzt. In unserem Langzeitdebut diskutierten wir früh ein Endspiel mit Chancen für beide Seiten. Dort konfrontierte ich den bis dato schnell spielenden Christian mit einer für Ihn neuen Idee, woraufhin er erst einmal für knapp 45 Minuten in den 'Thinktank' verschwand... nur um dann den mit Abstand besten Zug und die korrekte Figurenkonstellation aufs Brett zu zaubern. Ich selbst war aber auch ganz froh über den vergleichsweise untaktischen Verlauf, denn so richtig erholt fühlte ich mich auch noch nicht wieder. Die Partie endete nach ein bisschen weiterem Hin und Her schließlich ohne größere Aufregung nach gut dreieinhalb Stunden in einer dreifachen Zugwiederholung, und wir beide verbrachten noch einige Zeit mit recht tiefer Analyse des was-wäre-wenn.
In dem nachfolgenden Duell wurde es schon etwas brenzliger:
14 |
FM |
2292 |
½ |
: |
½ |
2315 |
FM |
11 |
Die beiden gut bekannten Kontrahenten Tobias und Hannes taten früh daran, sich gegenseitig mit Kleinigkeiten in der Eröffnung aus dem Tritt zu bringen. Im Mittelspiel ergab sich der erste Stolperstein wie folgt:
Wir lassen den Meister selbst zu Wort kommen:
Objektiv kein Fehler und ein natürlich aussehender Zug, jedoch sehr weich gespielt. Die weiße Dame möchte ohnehin nach b1 und sobald der Springer von c5 ziehen muss, funktionieren deutlich mehr Ablenkungs- und Grundreihenmotive, wenn der c8 angegriffen ist.
In der Tat hätte Schwarz gut daran getan, die Position der Dc2 mit dem Manöver Se6-d4 auszunutzen, und dies mit z.B. 16...Te8 vorbereiten können (Nach z.B. 17.Tf-d1 Se6 18.Sxe4 Sxf4 19.Sxf6+ Dxf6 20.Lxb7 hängt nun der e2). In der Partie war Tobi dem weißen Aufbau gefühlt immer ein Tempo hinterher, so dass er sich eine Weile später dazu genötigt sah, einen Bauern zu opfern und dafür eine leicht bessere Struktur sowie Remischancen durch ungleichfarbige Läufer (plus Schwerfiguren) zu generieren.
Nun zieht Schach seine Faszination unter anderem auch daraus, dass zwei objektiv nahezu gleich gute Spieler doch sehr konträrer Meinung sein können, ohne dass dadurch eine Seite automatisch Unrecht hat (mehr dazu unten). Mehrere der Anwesenden (ich inklusive) waren der Meinung, dass Tobi die Damen tauschen und sich auf eine gut mögliche, wenn auch lange Verteidigung einstellen hätte sollen. Tobi tat nichts dergleichen, tauschte stattdessen die Türme und nach einer weißen Ungenauigkeit wenige Züge später hatte er wie aus dem Nichts schon mühelos genug Gegenspiel angehäuft, dass der Remisschluss unvermeidbar war. Trotz schon seit einer Weile knappen Zeit blieb Tobi stets taktisch auf der Höhe und ließ nichts mehr anbrennen:
Auf den letzten Metern der Zeitnot besiegelte die Feinheit 37...b5! 38.Ld5 De2= das Unentschieden... und kurze Zeit später war es Zeit für den ersten Paukenschlag:
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2174 |
0 |
: |
1 |
2294 |
IM |
13 |
Für unseren Neuzugang Markus können wir einfach nur dankbar sein. Nicht nur, dass er kurzfristig einsatzbereit war und bei seinem ersten Einsatz gleich einen ganz wichtigen Punkt beisteuerte - er sorgte auch mit seiner Spielführung dafür, dass ich ein besonders pittoreskes Diagramm in meinen Bericht fügen kann (wer es jetzt nicht mehr aushalten kann, der scrolle schnell nach unten). Mit Schwarz konnte Markus früh ein paar Ungleichgewichte erzeugen, so dass Weiß in folgender Stellung vor einer schwierigen Entscheidung stand:
In diesem typisch Königsindischen Stellungstyp stechen die schwarze Schwäche auf c7 sowie der anfällige weiße König ins Auge. Es stellt sich als Anziehender dann immer die Frage, ob man rasch genug den Damenflügel erobern kann (was vermutlich die Partie beendet), bevor man am Königsflügel matt ist (was definitiv die Partie beendet). In der vorliegenden Stellung möchte die Maschine das prophylaktische 25.Kf1 sehen (nach 25.Kh1? Lg4 wäre Lxf3 eine unangenehme Drohung, nach 25.Kf1 hingegen stünde der weiße König sicher auf e2). Allerdings schafft es Schwarz dann, mit 25...Tg7 26.Tc1 f5 die Verteidigung von c7 ökonomisch abzufedern, wohingegen sein Angriff weiter voran schreiten kann. In einer Turnierpartie ärgert man sich bei so etwas oft, warum man dem Gegner noch diesen einen Zug gegeben hat, mit dem sich alles decken lässt.
Daher zog Weiß direkt 25.Tc1?, wonach Schwarz allerdings mit Wucht den weißen Königsflügel zerlegen konnte. Nach
25...Lh3
26.g3 (26...Se1 Txg2+!) Df6
27.Se1 fxg3
28.hxg3 Txg3+!
29.fxg3 Tg8
30.Sg2 Txg3
31.Tc2 Df3
ergab sich folgende feine Endstellung:
Zitat Markus:
wie so drei Inkassoleute, die vor der Tür stehen und klingeln :)
Da war sie, die Führung! Und auch die weiteren Partien sahen sehr vielversprechend aus. Zwar musste man nun aktiv um Felix bangen, doch dafür verwaltete Jan bereits eine Weile eine Gewinnstellung. Wird es was mit dem Auftaktsieg?
7 |
IM |
2428 |
½ |
: |
½ |
2416 |
IM |
2 |
Am Spitzenbrett konnte Dennes seinen Gegner, den bekannten IM Jonathan Carlstedt, in einem modernen nimzo-indischen Abspiel früh unter Beschuss nehmen und seinen Vorteil gnadenlos gewinnbringend ausbauen. Doch eine Ungenauigkeit war alles, was Schwarz brauchte um wieder mit Karacho ins Spiel zu kommen:
Weiß droht vernichtend 24.Sf5! gxf5 25.Lxf5, wonach Schwarz mit nachfolgendem Dh3 einfach matt gesetzt wird. Schwarz reagierte stark und thematisch mit dem Opfer 23...Se4!, was sich nach 24.Sxe4 dxe4 25.Lxe4 Lxe4 26.Dxe4 f6 (womit die Stellung auf dem Foto erreicht ist) auf Kosten eines Bauern aller guten weißen Figuren entledigt hat und selbst Gegenspiel erzeugen kann. Weiß steht immernoch sehr gut, allerdings ist die Sache nicht mehr so einfach. In der Ausgangsstellung hätte Weiß dies mit 23.Dh3! (anstatt 23.Sg3 ?) verhindern können: der Se4 kann nicht ziehen, da der Sd7 hängt. Wenn hingegen der Sd7 zieht, gehen nach 23..Sb6 24.f5 Sc4 25.Lxf6 Dxf6 26.fxg6 die Lichter aus. Am Ende der Zeitnot hatte Schwarz bereits vollständige Kompensation gesammelt, so dass Weiß seine Gewinnversuche schlussendlich einstellen musste.
10 |
IM |
2396 |
½ |
: |
½ |
2394 |
IM |
5 |
Jakob schien bei seinem HSK-Debut so viel Spaß am Schach zu haben, dass er gar nicht mehr aufhören wollte über seine Züge nachzudenken. Wie ein echter Amateur, der nicht weiß wie das Pferd zieht aber durchaus eine Uhr lesen kann, erschrak ich als Kiebitz doch etwas, als ich seinen Zeitverbrauch sah. Doch Jakob blieb cool, und als sich ein paar Figuren vom Brett verabschiedeten, neigte sich die Gunst der Partie doch laaaangsam in seine Richtung, so dass er konsequenterweise ein Remisangebot ausschlug („No thanks, I am going with the momentum“ - Tony Miles). So konnte Jakob auch sukzessive Druck aufbauen, welcher in einer (Zitat Jakob) „magnusartigen“ Chance gipfelte:
In der Partie versuchte es Jakob mit 27...Txc2?! 28.Lxc2 Sc3 29.a4, wonach Schwarz noch ein bisschen Druck hatte, Weiß die Stellung aber im Gleichgewicht halten konnte. Vorteil versprach hingegen
27...Tc3!!
Eine Pointe ist, dass der Turmtausch sich verbietet, da der a-Bauer mit einem Ld3 statt Lc2 nicht ziehen kann und verloren geht. Gleichzeitig droht akut f7-f6 mit Figurengewinn. Durch die etwas barocke Einschnürung des ungleichen Duos Tc3 & Sb1 hätte es Weiß schwer gehabt, eine Auffangstellung zu konstruieren. In der Partie spielten die beiden noch bis zur letzten Patrone, aber irgendwann war das Magazin leider alle. Remis!
11 |
FM |
2355 |
½ |
: |
½ |
2322 |
FM |
7 |
Ebenso remis endete die Begegnung zwischen den beiden Neuzugängen David und Zyon. Die beiden diskutierten lang ein damenloses Mittelspiel vom Typ „Delmenhorster Springer gegen französischer Läufer“, dessen Konturen etwa so aussahen:
Hatte ich nicht vorhin etwas über unterschiedliche Sichtweisen im Schach erzählt? Schwarz hatte gerade einen Bauern erobert, sich die Struktur dafür aber weiter ruiniert. Es ergab sich ein insgesamt spannender Stellungstyp, in dem oft nicht so klar ist, wer hier nun eigentlich besser steht, aber den beide munter und gleichzeitig auf Sieg spielen können. Dementsprechend hoch war auch die Kiebitzbeteiligung in der Analyse, so dass unentwegt Gewinnversuche von allen Seiten eingeworfen wurden. Nach einem kreativen Schlagabtausch endete auch diese Partie ausgespielt mit der wohlverdienten Punkteteilung.
Wer nun aufmerksam mitgezählt hatte, war schon bei 3.5 Punkten für uns angekommen. Und ein Blick auf die restlichen Partien zeigte: Felix hatte mittlerweile eine sichere Festung einnehmen können, und Jan stand weiterhin auf Gewinn. Das Unentschieden war damit sicher, und der Sieg zum Greifen nah! Ich als Kiebitz oszillierte ständig zwischen den Zuständen „ich bin neugierig ob Jan gewinnt“ und „ich kann gar nicht hinsehen“, und beruhigte mich u.a. mit einer entspannten Partie Flaschenschach mit Tobi.
Aufatmen konnten wir, als Felix das Unentschieden fixierte:
12 |
IM |
2359 |
½ |
: |
½ |
2326 |
FM |
9 |
Getreu ihrer jeweiligen Stile strebte Felix eine vollelastische Stellung mit viel Potential und einigem Material auf dem Brett an, während sein Gegner IM Martin Breutigam mit Weiß schon früh versuchte, eine leicht-riskante, kontrollierte Offensive in Richtung des schwarzen Königs zu starten. Dies gipfelte in folgendem Schlagabtausch:
Weiß hatte gerade seinen Turm kreativ auf die Reise zum Königsflügel geschickt, was Schwarz mit 19...h5! konterte. Das feine taktische Detail ist hier, dass Schwarz nach 20.Tg3 Sf6! (21.exf6 Dxg3) seinen Springer geschickt zur Verteidigung (Blockade auf g4) bei gleichzeitigem Druck auf e5 und f2 nutzen kann. Breutigam antwortete mit 20.Tg5 Le7 21.Tc1 !?!, wonach eine ganze Horde von Figuren über den Jordan geht, bis am Ende das Endspiel D+S vs. TT+L entsteht. Dieses ist bei naivem Materialzählen sicherlich gut für Schwarz, doch durch die schwarzen schwarzfeldrigen Schwächen am Königsflügel (Struktur h7-g6-f7-e6) konnte Weiß überraschenderweise noch einige unangenehme Fragen stellen. Felix konnte sich vor der Zeitkontrolle nicht ganz darauf einigen, ob er nun auf Verteidigung umschalten oder selbst Gewinnversuche starten sollte, und wurde ein paar Züge später auf falschem Fuß erwischt, so dass er eine Qualität geben musste. Mit Turm und Läufer gegen die Dame war natürlich die ewige Frage: Ist es eine Festung, oder kann Weiß durchbrechen?
Die Entscheidung hierzu fiel interessanterweise direkt nach der Zeitkontrolle:
Weiß am Zug konnte sich hier mit 41.Kf4! Td4+ 42.Ke5 Td5+ 43.Kf6 Tf5+ 44.Ke7 einen Weg in die schwarze Stellung bahnen, wonach es keine Verteidigung mehr für Schwarz gibt. Durch die kombinierten Drohungen schafft es Schwarz leider nicht mehr rechtzeitig, sowohl den Damenflügel abzuriegeln als auch den Königsflügel abzusichern, und Weiß gewinnt somit entweder durch matt oder kollektivem Bauernschmaus. Das so ein Fehler ausgerechnet im 41.ten Zug passiert, kann daran liegen, dass der König gerade von f4 kommt. Der 40.Zug Ke3 statt 40.Ke5 hatte natürlich nichts kaputt gemacht, da man wieder zurück gehen kann. Aber vielleicht ist man psychologisch gehemmt, im Gewinnsinne wieder zum Ausgangsfeld zurück zu kehren. In der Partie zog Weiß das auch verlockend aussehende 41.De8?, wonach Schwarz aber mit dem genauen 41...Lc6! 42.Dc8 Lb5 43.Db8 a4 den Damenflügel fixieren konnte. Im Anschluss musste nur noch der Läufer nach b3, der Turm nach f5 – und Felix konnte verdient aufatmen.
Damit stand es 4:3, und alle Augen ruhten auf Jan.
17 |
FM |
2206 |
0 |
: |
1 |
2273 |
12 |
Dieser lieferte sich mit Matthias Bach eine gehaltvolle, hochkomplexe Partie mit strukturellem Chaos:
Objektiv betrachtet steht Weiß bereits sehr gut, aber in dieser latent chaotischen Benoni-Stellung gibt es auch viele saftige Schwächen auf beiden Seiten (Zitat jan: Mir war klar - ich muss auf dem Gaspedal bleiben). Insgesamt bleibt die Stellung spannend. Ich selbst hätte vermutlich 21...Lxg5 22.fxg5 Se5 gespielt (danach hab ich immerhin EINE richtig gute Figur), wonach 23.g5-g6 aber brandgefährlich für Schwarz ist. Schwarz entkorkte hier hingegen 21...b5!?, was (nach 22.Sxb5 Db6) einen Bauern für Aktivität und offene Linien gibt, und die Stellung noch ein bisschen wuseliger macht. Obwohl kurze Zeit später die Damen vom Brett gingen und Weiß ohne Frage Vorteil hatte, blieb die Partie auf Grund der zahlreichen Schwächen und den aktiven schwarzen Figuren kompliziert. Doch Jan blieb weiter fest im Sattel und konnte sowohl langsam Material gewinnen als auch die immanent drohende schwarze Figurenaktivierung prophylaktisch abwenden:
Hier droht Schwarz, nach z.B. 50.Td2 Tg6 nebst Tc-g7 noch praktische Probleme zu schaffen, und nach 50.Tg1 kehrt Schwarz nach f7 zurück. Jan spielte daraufhin eine sehr exakte, geometrische Zugfolge angefangen mit 50.Tg1 Lf7 51.Tb5! Le8 52.Tb8, wonach er fünf Züge später die gleiche Diagrammstellung mit dem weißen Turm auf c1 erhielt, und 56...Lf7 57.Tc6! den Sargnagel darstellte. Mit zwei Minusbauern und mit zur Passivität verdammten Figuren gab Schwarz schließlich auf. Am Ende konnte Jan damit vollkommen überzeugend und verdient den Punkt einfahren, den er gefühlt 40 Stunden vorher bereits angekündigt hatte.
Damit war unser Sieg perfekt und die Laune auf dem Höhepunkt! Mit zwei lebenswichtigen Mannschaftspunkten zum Auftakt haben wir damit vor allem psychisch enorm viel Strecke beim Wettlauf gegen das Abstiegsgespenst gemacht. Die nächsten Gegner können also kommen.
Und wer weiß? Vielleicht steigen wir ja auch einfach auf.
Zum Abschluss kann man noch Werder Bremen für diese sehr positive Erfahrung (unabhängig vom Ergebnis) danken. Insgesamt war die Atmosphäre sehr freundlich, die Analysen respektvoll und angenehm. Wäre ja auch blöd, sich gleich am ersten Wochenende wild mit dem späteren Reisepartner zu verkrachen...
5 Sterne, immer gern wieder.
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