Sonntag, 5:15 Uhr. Was kann um diese unangemessen frühe Uhrzeit schon sein? Mein Wecker erinnert mich lärmend daran, dass ich den Entschluss gefasst hatte, die Landesblitzeinzelmeisterschaft mitzuspielen... Warum so früh? Leider - aus der Sicht aller Spieler aus den zentraleren bis südlicheren (oder eigentlich aus der Sicht aller Spieler außer der Lokalmatadoren?) - fand das Turnier in Wilhelmshaven statt. Der Weg dorthin wurde von Baustellen bestimmt, sowohl auf dem Autowege, als auch auf der Bahnstrecke. Persönlich hatte ich mich mehr oder minder gezwungenerweise für die Bahn entschieden, was als Student zwar kostenlos aber auch langwierig ist. Arbeiten an der Strecke zwingen Reisende am Wochenende auf den Schienenersatzverkehr auszuweichen, was jedoch einer bald einstündigen Verlängerung der Fahrzeit entspricht. 3:28 verkündete die Fahrplanauskunft emotionslos, drei Umstiege und dazu weder die Anfahrt zum Hauptbahnhof in Hannover noch der Weg vom Hauptbahnhof in Wilhelmshaven zum Spielort eingerechnet. Leicht verschlafen, aber sonst von Problemen verschont traf ich nach über viereinhalb Stunden Anfahrt im Spiellokal ein.
Den Standort kann man den Wilhelmshavenern wohl kaum vorwerfen und die Organisation ließ sich anfangs definitiv sehen. Alle Bretter bereits aufgebaut, dazu sogar ein Laptop mit Beamer, welch Premiumausstattung! Platz war genug, Licht war sehr natürlich, Wetter angenehm kühl, es war angerichtet! Viele andere waren entweder bereits am Vortag angereist oder kamen mit dem Auto, so müde wie ich sah keiner aus. Meine größte Hoffnung bestand in der Teilnehmerliste. Zwar gab es - in Analogie zum letzten Blitz Clash - einige große Fische, aber insgesamt wirkte das Feld doch eher schwächer besetzt als im Vorjahr. Als Titelverteidiger nahm ich mir vor, der Megalodon zu sein, obwohl ich mir dank der Anreise gewissen Pessimismus bewahrte. Schade war die doch eher geringe Spieleranzahl mit 22 (24 im Vorjahr), wenngleich ich mich insgeheim über die geringere Spieleanzahl freute.
Zu Beginn gewann ich dreimal eine Figur, noch war keine wirkliche Prüfung dabei. In Runde 4 kam die erste interessantere Partie, dabei zeigte ich bereits gute Ansätze:
Graf - Hampel:
Hier ließ ich mich nicht aus der Ruhe bringen, fand das starke 21...Tc4! und vermied das ängstliche Tauschen auf d4. Schwarz erhält gewinnbringenden Angriff, mein Gegner überschritt auf der Suche nach Rettung die Zeit (nach 22.Sxf5 Sxf5 23.Lxf5 b4! bricht Schwarz durch).
In Runde 6 war die Gruppe mit voller Punktzahl schon stark zusammengeschrumpft, einer davon, der Hannoveraner Jörg Witthaus, knöpfte mir dann auch den ersten halben Punkt ab. Besser gesagt wäre wohl eher, dass er seine Zähne schon in mich geschlagen hatte, dann aber aus Respekt und/oder dank dem vorherigen gefühlten Vorteil meinerseits ein friedliches Ende vorzog. Direkt im Anschluss wartete dann der überraschende Tabellenführer Marius Eilert, Mr. 100% bis dato. Sollte ich mich angeschlagen zeigen? Nein, ich zeigte keine Gnade und damit begann eine Serie von 12 Siegen en suite.
Dann kam eine Partie, auf die ich im Nachhinein stolz war, zumindest bis mir Stockfish, der größte Fisch von allen, aufzeigte, wo ich überall per Damenopfer gewinnen konnte. Doch seht selbst:
Danach sammelte ich wieder Material ein und es gelang mir diesmal sogar ein Damen"opfer" anzubringen:
Rogner - Hampel:
Mit genügend Mehrmaterial wird es einfacher: 1...Dxd4+ 2.cxd4 Lxd4#
Eine gute Partie noch, dann war Mittagspause. Die ließ sich an wie gefühlt jede andere Mittagspause auch: es gibt Wurst mit Kartoffelsalat, was mir a) nicht schmeckt und b) als Vegetarier noch weniger Spaß macht. Deshalb wurde es dann der Snack mit Schokoriegeln... Ob es daran lag? Oder an der Pause? Jedenfalls stimmten danach zwar die Ergebnisse, aber mein Spiel fing an bedenklich wacklig zu werden.
Der nächste Gegner passte sich scheinbar zuerst an die vorherigen Erlebnisse an und gab mir das Läuferpaar, doch kurz darauf stand ich bereits vor einem Trümmerhaufen: Raumnachteil, Unterentwicklung, die offene Linie kontrollierte der Gegner und meine Bauern waren schwach. Konsequenterweise hatte ich deren bald zwei zu wenig. Einziger Hoffnungsschimmer war das Läuferpaar und meine inzwischen aktiveren Figuren. Aber nach dem tiefsten Fall folgte in diesem Turnier auch immer das höchste Hoch: zuerst gewann ich unter Aufgabe de Läuferpaars einen Bauern zurück, wonach ich mir fast schon berechtigte Hoffnung auf ein Remis machen konnte und dann erspähte ich in folgender Stellung einen taktischen Trick:
Richter - Hampel:
König und Turm stehen nicht nur auf der gleichen Farbe wie mein Läufer, sondern auch noch auf der gleichen Diagonale: 1...e3! macht sich dies zunutze und stellt Weiß vor erhebliche Probleme. Ursprünglich nur als Falle gedacht, merkte ich plötzlich, dass dieser Zug richtig stark ist. Okay, die Engine weist auf die Rettung 2.g5+ hin, aber wer findet sowas mit Sekunden? Stattdessen folgte 2.fxe3 Ld5+ und etwas abenteuerlich verwerte ich den Mehrturm.
Danach spielte ich wieder eine gute Partie, die dank der guten Verteidigung meines Gegners jedoch eigentlich in einem Remis enden sollte, doch im Endspiel unterlief ihm ein folgenschwerer Fehler:
Hampel - Essmann:
Gerade hat Schwarz passiv auf den vorherigen Vorstoß b4 den Bc5 mit b6 gedeckt, was ein Fehler ist (cxb4 bot gute Rettungschancen). Jetzt spielte ich den Hebel 1.a5! mit der Idee 1...bxa5 2.bxc5, was gewinnt. Hut ab an alle, die die zweite Siegidee gesehen haben: 1.b5 axb5 (1...a5 2.Lxa5 und der b-Bauer ist nicht zu stoppen) 2.a5! bxa5 3.cxb5 und wieder ist der b-Bauer zu stark.
Im Anschluss mühte ich mich ab, eine Partie mit Mehrfigur zu gewinnen. Merke: es ist nicht notwendig, mit großem Vorteil zu komplexe Taktiken anzustreben. Am Ende konnte ich mich noch glücklich schätzen überhaupt zu gewinnen, nach einer verrückten Zeitnotphase mit übersehenem falschen Zug vom Gegner schenkte er mir eine Figur ohne die es vermutlich schwierig gewesen wäre den Sieg einzufahren. In der nächsten Partie zeigte ich hingegen einen alternativen Fehler: mit Mehrbauern wickelte ich gezielt in ein Damenendspiel ab, dass sich als überhaupt nicht trivial zu gewinnen herausstellte.
Gegen unseren Verbandspräsidenten erwies ich mich auf der Höhe:
Langer - Hampel:
Hier hielt ich noch kurz inne und spielte nicht das ursprünglich geplante fxe4, wonach mir noch viel Arbeit ins Haus steht, sondern fand das starke 1...c5!, wonach ich zum Läuferpaar noch einen Mehrbauern erhielt. Die Verwertung gestalte sich etwas umständlich, aber zumindest mal ohne den Vorteil wieder zu vergeben.
Gegen den jüngsten Teilnehmer (U12 meine ich) griff ich erst in die Trickkiste, was unerwarteten Erfolg nach sich zog (wobei es sicherlich hilft, bereits besser zu stehen) und dann in die Schwierigkeitenkiste. Anstatt technisch mit der ergatterten Mehrqualität zu gewinnen musste es besonders schön und im Mattangriff gegen den König sein. Da hieß es plötzlich entweder durchbrechen oder nachher nicht gewinnen. Glücklicherweise gab die Stellung den Angriff her. Hier das Ende:
Damit hatte sich mein Glück aber auch erschöpft. Gegen meinen ärgsten Verfolger Alexander Izrailev agierte ich in der Eröffnungsphase nicht angemessen und geriet in eine schlechte Version von entgegengesetzten Rochaden. Hier konnte ich mich nicht mehr herauswinden, insbesondere nicht, nachdem mein Gegner in folgender Stellung den Knockout fand:
Izrailev - Hampel:
Hier gewinnt noch so einiges, am Stärksten und schnellsten ist aber 1.e5! mit der Idee 1...dxe5 2.Ld5+ Kh8 3.Se4! und es gibt nichts gegen die Drohung Sg5 gefolgt von Txh7. Nach dieser krachenden und verdienten Niederlage sah ich mich plötzlich mit der unangenehmen Situation konfrontiert, dass ich bei nur einem halben Punkt Vorsprung die beiden nächsten Partien gewinnen musste. Ein Punktegleichstand hätte mir wegen des direkten Vergleichs den Sieg gekostet. Ich fühlte mich ans Vorjahr erinnert, nur dass ich dieses Mal nicht gegen die Spieler der unteren Hälfte gewinnen musste, sondern gegen zwei die am Ende auf den Plätzen 5 und 6 landeten.
Zuerst lief alles nach Plan, doch dann...
Damit war ich dann auf einmal sehr plötzlich durch! Gelungene Titelverteidigung, was will man mehr? Vielleicht eine Siegerehrung? Denn die bestand nur aus der Verlesung der besten Acht, diese sind vorqualifiziert für die nächste Auflage. Vielleicht bin ich ja verwöhnt vom Vorjahr, aber dort gab es eine Urkunde, einen Pokal und Fotos, also alles, was man so von einer Siegerehrung erwartet. Letztlich halte ich es ja mehr mit Konfuzius: der Weg ist das Ziel. Trotzdem empfand ich es schon als etwas unpassend, vielleicht auch befeuert durch die Tatsache, dass ich mehr Fahrt als Spielzeit hatte (trotz der Rückfahrt im Auto, danke an Bernd!). Trotzdem überwiegt natürlich die Freude trotz meiner Verschlafenheit (oder wegen dieser?) das Turnier gewonnen zu haben!
Einen kurzen Bericht mit Fotos vom Turniersaal und einer Kreuztabelle findet sich auf offizieller Seite: http://nsv-online.de/2019/09/felix-hampel-blitzeinzelmeister-2019/ und die Abschlusstabelle habe ich erfreulicherweise ausgedruckt mitnehmen können:
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