Vom zweiten Auftritt in der Bundesliga berichten Jakob Pfreundt (erster Teil) und Felix Hampel (zweiter Teil):
Am ersten Dezemberwochenende verschlug es unsere erste Mannschaft tief in den verschneiten Süden. Dort durften wir uns in München in der dritten und vierten Runde der Bundesliga-Saison mit den lokalen Mannschaften MSA Zugzwang und FC Bayern München messen.
Nun ergab es sich so, dass es ausgerechnet an diesem Wochende wegen extremem Schneefall zu massiven Einschränkungen im Bahnverkehr in der Region München kam; für die meisten uns, die wir am Freitag anreisten, führte das – bis auf die eine oder andere Stunde Verspätung – zu keinen allzu großen Problemen. Für Ilja und Artem allerdings, die sich am Samstag morgens auf die Reise machten, sah das leider ganz anders aus – die beiden mussten ab Nürnberg mangels Zugverkehr kostspieligerweise ein Taxi nehmen. Dieses verwickelte sich dann auch noch kurz vor Ankunft in einen Unfall, bei dem glücklicherweise niemand verletzt wurde (das offenbar erst zwei Tage zuvor erworbene Auto sah danach allerdings nicht mehr wie frischgekauft aus) – Ilja und Artem spielten ihre Partien der dritten Runde gegen MSA Zugzwang natürlich trotzdem in durchgerütteltem Zustand.
Ilja durfte dann auch noch am ersten Brett gegen Weltklassespieler Pavel Eljanov (2691) ran. Hier lief die Eröffung zunächst vernünftig, allerdings war in folgender Stellung –
– die prophylaktische Maßnahme 13.a3! angebracht, da …b5-b4 eine von Ilja unterschätze positionelle Idee war, deren Effekt in der Partie deutlich wurde: nach 13.Sd4?! b4 14.Sxc6 Txc6 15.Sd5 Lc5 16.Sxf6+ gxf6 17.Db7 fand Eljanov das elegante 17. …Ke7!
…wonach der Damentausch mittels 18. …Dc8 unvermeidbar war und Ilja in ein äußerst unangenehmes Endspiel zwang. Hier mussten wir nicht viel später unsere erste Niederlage hinnehmen.
Zwei Bretter weiter war Anthony in einen unübersichtlichen Italiener verwickelt. Im weiteren Verlauf wurde das eine oder andere Leichtfigurenpaar getauscht – an Komplexität verlor die Stellung dadurch aber nicht. In folgender Stellung unterbreitete sein wohl nicht an realistische Gewinnchancen glaubender Gegner – GM Bromberger (2477) – Anthony ein Remisangebot, das letzterer annahm.
In der anschließenden kurzen Analyse offenbarte sich dann, dass beide Spieler ihre jeweilige Stellung als etwas schlechter eingeschätzt hatten. Ein Blick auf die Engine-Bewertung zeigt, dass wohl eher Bromberger mit dieser Einschätzung richtig lag und Weiß tatsächlich einen kleinen Vorteil haben könnte. Folgende Variante, die Anthony während der Partie berechnet hatte, zeigt aber, wie trickreich die Stellung ist:
23.c3 f5! 24.Te2 f4! (mit der Drohung …f4-f3, sodass Weiß immer noch keine Zeit hat, sich den Läufer zu genehmigen) 25.Te4 Lb6 26.Txe5? f3 27.g4 Lxf2+ 28.Kxf2 Df6!
…mit Doppeldrohung auf Turm und Königsangriff per …Dh4+. Stattdessen sollte Weiß wohl 26.Kh2/h1 spielen und auf gewisses positionelles Druckspiel setzen.
Bei Artem sah die Stellung (und vor allem sein Zeitmanagement) in der Eröffnungsphase sehr vernünftig aus. Als ich aber nach geraumer Zeit wieder vorbeigeschaut hatte, war ihm eine Qualität abhanden gekommen und wir mussten uns an einem weiteren Brett mit einer Niederlage abfinden. Die Analyse zeigt allerdings, dass sein Gegner IM Jorczyk (2380) tatsächlich schon gegen Ende der Eröffnungsphase eine starke Abwicklung fand:
In dieser Stellung hatte Artem gerade 15. …Sf8 gespielt, das wurde aber effektiv von 16.Sh4! g6 17.Sb5! Lb8 18.dxc5 bxc5 19.Lxf6 Dxf6 20.Dxc5 bestraft.
Weiß genoss durch den Mehrbauern und die strukturellen Trümpfe einen klaren Vorteil, den der Münchener auch relativ sicher verwerten konnte.
Bei einem Zwischenstand von 0.5 – 2.5 war es höchste Zeit für eine Wende im Matchverlauf.
Eine der drei Pacman-Partien, wie sie Ilja im Nachhinein treffend bezeichnete, spielte Markus mit Weiß gegen GM Hertneck (2443). In einer aus der Eröffnung heraus aus positioneller Sicht durchaus vielversprechenden – auch wenn objektiv nicht unbedingt besseren – Stellung begann Markus nach längerem taktischen Gefecht im Mittelspiel, in dem der weiße Vorteil irgendwann nicht mehr von der Hand zu weisen war, einen Bauern nach dem anderen einzusacken. Die Schlussstellung zeugt von diesem Spektakel:
Eine starke Kampfpartie von Markus, der den Rückstand auf einen Punkt herabsetzen konnte.
Wenn ich mich in der chronologischen Abfolge der Ereignisse nicht täusche, war meine Partie die nächste, die ihr Ende fand. Dabei sei erwähnt, dass wir erstaunlich viele lange Partien spielten: als der Nebenkampf bereits in trockenen Tüchern war, liefen bei uns noch die Hälfte der Partien, die auch alle weit in die Nachspielzeit – also in der Phase nach der Zeitkontrolle – hineinreichten.
In meiner Partie traf mein Gegner IM Horvath (2564) in der Eröffnung eine zumindest untypische, vielleicht auch fragwürdige Entscheidung, indem er mich in einer klassischen Nimzoindisch-ähnlichen Stellung unter guten Umständen auf c3 tauschen ließ:
Hier erlangte ich mit 5. …Lxc3 6.bxc3 Lb7 eine für meine Begriffe sehr bequeme Stellung mit Potential, auf strategischen Vorteil zu spielen.
Spätestens in folgender Stellung war klar, dass Schwarz strukturell besser steht:
Tatsächlich verfestigte sich der Vorteil nach und nach. Hier war ich dann auch wirklich optimistisch in Hinblick auf Gewinnchancen, zumal der Damentausch vermeintlich gegnerische taktische Konterchancen unwahrscheinlicher machen sollte (aber nicht unmöglich, wie sich noch zeigen sollte):
Meine Leichtfiguren und Damenflügelbauern harmonieren wunderbar zusammen, um den weißen Figuren jegliche potentiell verlockenden Felder zu verwehren. Mit konkreten Ideen wie …La4, oder auch einfach einer Verdopplung der Türme entlang der a-Linie auf Lager war ich guter Dinge.
Ich erlaubte allerdings in akuter werdender Zeitnot zu viel Gegenspiel:
In dieser Stellung hätte ich meinen Vorteil mit dem simplen – aber während der Partie auf mich zu langsam wirkenden – 37. …Te2! behalten können. Tatsächlich kann Weiß kein ausreichendes Gegenspiel orchestrieren, während ich einfach vorbereite, den e5-Bauern vom Brett zu nehmen. Stattdessen entschied ich mich für 37. …Lc6? 38.Tc8 Txg2+ 39.Kf1 Lf3, und hier hätte mein Gegner – der sich kurz vor der Zeitkontrolle genau wie ich in gravierender Zeitnot befand – mit 40.Tc7+ Kg6 41.Se8! eine mich empfindlich treffende Mattdrohung aufstellen können und müssen, die ich nur durch Dauerschach abwenden kann.
Glücklicherweise folgte auf meinen Zeitnoteinsteller im 37. Zug mit 40.Sh7 gerade rechtzeitig einer meines Gegners und der Sieg war wieder in greifbarer Nähe. Nach einer Zugwiederholung 40. …Kg6 41.Sf8+ Kf7 42.Sh7 führte das simple 42. …Ke7 zum entscheidendem Vorteil, den ich zum Glück ohne große Probleme verwerten konnte.
Eine Eventualvariante möchte ich noch zeigen, auf die ich während der Partie ehrlicherweise gehofft hatte, weil ich sie so schön fand: nach 40. …Kg6 41.Sg5 gewinnt das Qualitätsopfer 41. …Txg5! 42.Tg8+ Kf7 43.Txg5 Lg4!
Der weiße Turm ist eingesperrt (bzw. wird zum Dasein als Vög’scher Turm verdammt), aber auch der König kann nicht zum Damenflügel entweichen, sodass Schwarz dort ungehindert mit den Bauern vormarschieren und zu einer Dame umwandeln kann.
(Es sei mir verziehen, dass ich in der Analyse meiner eigenen Partie ein paar mehr Diagramme und Erklärungen spendiert habe als bei den übrigen – man bekommt nun mal von der eigenen Partie schon deutlich mehr mit als von den übrigen)
Damit war der Kampf ausgeglichen und es liefen noch drei heiß umkämpfte Partien.
Jan musste sich lange in einem schlechteren Endspiel gegen FM Kruckenhauser (2310) quälen. Leider konnte sich sein Gegner irgendwann trotz zäher Verteidigung Jans durchsetzen und den vollen Punkt erzielen.
Als interessantes Detail aus der Partie sei der vielleicht letzte Moment im späten Mittelspiel genannt, in dem Jan vielleicht das lange Leiden in einem hoffnungslosen Endspiel hätte vermeiden können.
Hier hätte 29. …Txh5 die Stellung im Rahmen der Spielbarkeit hehalten. Falls 30.Txf4 Lxf4 31.Kg2 b6! und Schwarz möchte die weißfeldrigen Bauernschwächen am Damenflügel mit …a6-a5 auflösen und sollte die Partie halten können.
Das korrekt zu evaluieren ist natürlich alles andere als trivial.
Falls Weiß stattdessen 30.Txe6 Txh3+ 31.Kg2 versucht – mit der Hoffnung, dass im nächsten Zug Tfe1 gleichzeitig den weißen König sichert und den schwarzen in die Mängel nimmt, vielleicht unterstützt vom mattnetzstrickenden Lg6 im richtigen Moment – dann kann Schwarz Türme tauschen mit 31. …Th6, aber auch mit dem direkten 31. …Th2+ 32.Kxh2 Te4+.
Stattdessen wählte Jan 29. …Tf3?!, wonach 30.Te3! Tf6 31.Ld1 (auch 31.Le4 wäre stark gewesen) zu guten weißen Gewinnchancen führte:
Besonders gut lief eigentlich die Eröffnung bei Felix gegen IM Raykhman (2368). Ersterer erreichte mit seinem g3-System gegen Königsindisch ein strategisch überlegenes Mittelspiel. Die Spieler wickelten allerdings in ein Endspiel ab, das wohl die meisten von uns auf den ersten Blick als klar besser für Weiß einschätzen würden –
– in dem aber tatsächlich der von Raykhman eingeschlagene Weg, 29. …Lxc3! 30.Txc3 Sa5, eine sehr stabile Konstruktion am Damenflügel schafft, die die weiße 3-1 Mehrheit erst einmal relativ gut im Zaum halten konnte.
Eine Chance auf Vorteil ergab sich dann ein wenig später, als Felix 34. …e5?!
…vermutlich mit 35.f5! hätte beantworten sollen (er entschied sich für das weniger gefährliche 35.fxg5 hxg5). Das hätte den schwarzen König vom Spielgeschehen ausgeschlossen und den h-Bauern als empfindliche Schwäche markiert, die später über die h-Linie von einem weißen Turm angegriffen werden kann.
Die Stellung blieb natürlich zweischneidig und nicht unbedingt einfach zu navigieren für Schwarz, und so hatte Weiß hier eine letzte Chance auf Vorteil:
Felix fand die richtige Idee, nämlich den c3-Turm wegziehen, und dann den Läufer über d4 nach c3 manövrieren. Von dort dominiert der Läufer den schwarzen Springer, der auf c6 als Blockadefigur fungieren muss, greift den f6-Bauern an und unterstützt den späteren b3-b4-Vorstoß.
Nun macht es leider einen gravierenden Unterschied, ob man in der Diagrammstellung 42.Tc2 oder 42.Tcc1 spielt – letzterer wäre korrekt gewesen. Nach der Partiefortsetzung 42.Tc2 Sc6 43.Ld4 aber ließ sich Raykhman nicht zweimal bitten und packte 43. …Txb3! aus, was völligen Ausgleich erzielt.
Als letzter beendete Dennes seine Partie. Das bedeutet aber keineswegs, dass das eine zähe, ereignisarme Endspielangelegenheit war – im Gegenteil, spannender war wohl keine andere Partie. Für das 4:4 musste jetzt also ein voller Punkt her.
Per Zugumstellung erreichten Dennes mit Schwarz und sein Gegner, GM Kindermann (2444), eine drachenartige Stellung, die sehr vernünftig für unser Brett 3 aussah:
Kindermann entschied sich hier für den zweischneidigen, objektiv vermutlich eher fragwürdigen Zug 16.f5, was dem Schwarzspieler das e5-Feld für seine Figuren auf dem Silbertablett serviert. Die Stellung bleibt natürlich hochkomplex und der Trend wendete sich im weiteren Verlauf erst einmal:
Der Turm hatte sich hier ein wenig verirrt im gegnerischen Lager. Der objektiv korrekte Zug ist das kaltblütige 26. …Tc5, Dennes aber ließ sich zu Komplikationen hinreißen und spielte 26. …Sxe4?! 27.Lxe4 Lxd5 28.Lxd5 Dxd5+, hier aber verbleibt Weiß nach 29.Sf3! mit einem Mehrturm.
Trivial gewonnen war die Stellung damit aber noch lange nicht – gemäß Pacman-Prinzip begann Dennes hier, möglichst viele Bauern einzusammeln. Das gelang ziemlich gut:
Hier waren es bereits vier Stück! Zumindest aus praktischer Sicht hat Dennes hier definitiv gewisse Kompensation geschaffen. Weiß hätte hier dennoch mit 33.Ld4! den Läufertausch anbieten und eine mittelfristig vermutlich gewinnbare Stellung bewahren können.
Stattdessen griff Kindermann mit 33.Sd4? fehl. Nach dem einen oder anderen weiteren Fehler in Zeitnot kristallisierte sich nach der Zeitkontrolle die folgende Stellung heraus:
Offensichtlich hatte sich das Blatt zu unseren Gunsten gewendet. In einer streng gespielten Zeitnotphase hatte es Dennes irgendwie geschafft, die Damen zu tauschen, sich einen weiteren Bauern einzuverleiben und die jetzt übermächtig wirkende Bauernmasse in Bewegung zu setzen. Die fünf Bauern sind hier einfach deutlich effektiver als der weiße Mehrturm und das konnte Dennes in der Folge auch beweisen. Ein schöner Sieg, der Punktegleichheit für den Mannschaftskampf bedeutete!
Insgesamt also ein sehr erfreuliches Unentschieden, wobei wir sogar Chancen auf mehr hatten – das gibt Hoffnung in Hinblick auf die übrige Saison.
Nebenbei bemerkt – ob das der erste Mannschaftspunkt einer Hannoveraner Mannschaft in der Bundesliga überhaupt war? Vielleicht gibt es ja unter den Lesern Recherchefreudige oder Schachbundesligahistoriker, die sich dieser Frage annehmen möchten.
Vielleicht wird es uns ja möglich sein, dem einen oder anderen weiteren Team Mannschaftspunkte zu stibitzen – und hoffentlich weiterhin zahlreiche schöne Einzelergebnisse zu feiern.
Soweit für Tag 1 Jakob Pfreundt. Den zweiten und weniger erfreulichen Tag übernehme dann ich (Felix Hampel), aber ich habe ja auch nicht gewonnen ;)
Die Stimmung war nach dem Punktgewinn ungeachtet der widrigen Umstände sehr gut. Im Hotel beim gemeinsamen Abendessen (die Portionsgröße war zwar überschaubar, jedoch hatte es dafür geschmeckt) konnten wir nochmal die mehr oder minder erfolgreichen Leistungen Revue passieren lassen.
Die Motivation, auch den Hausherren keinen einfachen Sieg zu überlassen, hatte ungeahnte Höhen erreicht. Damit ging es ins Bett, ohne genauer zu wissen, was uns noch alles erwarten würde.
Wir überstanden erste kleinere Schwierigkeiten, wie zum Beispiel Jan, der sich nach einem Besuch im Fitnessbereich aus seinem Zimmer ausgeschlossen wiederfand oder Ilja, der im Frühstücksaal den einen Platz mit Steckdose für die Vorbereitung ausfindig machen konnte.
An der Pünktlichkeit ließe sich noch arbeiten, aber letztlich schafften wir es rechtzeitig zum Spielort und kriegten dank des netten Supportteams der Münchener auch noch ein paar Fotos geschossen.
Ein Mannschaftskampf besteht aus 8 Paarungen und 16 Spielern. Oder nach nicht mal einer Stunde aus 6 Paarungen und 12 Spielern. Vorne hatten die Münchener in der Kürze der Zeit keinen Ersatz für den im Schneechaos nicht nach München gelangten Iraner Idani Pouya finden können und Jakob konnte sich frühzeitig mit einem kampflosen Sieg im Gepäck auf den Heimweg machen.
Dann schloss sich ihm noch Dennes an, der ein schnelles Remis erspielte, indem er nach einem Damenopfer dem Gegner (GM Valentin Dragnev, vor kurzem noch fast Carlsen-Bezwinger!) die Wahl zwischen Dauerschach oder einer wilden Stellung mit viel Potential auf eine Niederlage aufzwang.
Hier zog Dennes 9.Sg5, was die forcierte Abwicklung 9...Sxc3 10.Lxe6! Sxd1 11.Lxf7+ Kd7 12.Le6+ zur Folge hatte. Schwarz kann weiterspielen (12...Kc7 13.Lf4+ Kb6 14.Txd1 statt 12...Ke8 13.Lf7+ mit einer Zugwiederholung), aber muss sich fragen, ob dies gegen einen Gegner, der Bescheid weiß, eine schlaue Idee ist.
Die Führung sollte aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die Münchener an den verbleibenden Brettern jeweils zwischen 100 und 250 Elo mehr aufzuweisen hatten. Dennoch sollte noch nicht alles schlecht aussehen.
Vorne hatte sich Ilja (gegen GM Niclas Huschenbeth) eröffnungstheoretisch gut gewappnet gezeigt und realistische Aussichten ein Remis zu machen. Hinten hatte Artem das krumme Eröffnungsspiel seines erfahrenen Gegners ordentlich attackiert und man konnte auf einen vollen Punkt hoffen.
Es fehlten also optimistisch gesagt noch 2 Remisen aus den verbleibenden 4 Partien, doch das war einfacher gesagt, wie getan.
Zuerst erwischte es Jan gegen GM Sebastian Bogner:
Nach einem Bauernopfer, von dem Jan wusste, dass es gut spielbar ist, sah er sich der Aufgabe gegenüber, am Brett herauszufinden, wieso. Erschwerend kam hinzu, dass Jan sich zu erinnern meinte, dass man nicht ...Sd7 spielt und fälschlicherweise davon ausging, etwas haben zu müssen. Hier versuchte Jan es mit dem vorübergehenden Opfer 15.Sxc6, was nach der Zugfolge 15…bxc6 16.Lxc6 Tb8 17.Lxa7 Txe1+! 18.Dxe1 Txb2 19.De8+ Sf8 20.Dxc8 zwar Material mit Zinsen zurückgewann, jedoch leider einen großen Haken hatte:
Der Großmeister hatte noch weiter gerechnet und sackte hier mittels 20…Dxc4 gefolgt von 21…Tc2 unter Ausnutzung der unglücklich postierten weißen Figuren den Lc6 ein.
Stattdessen wäre wirklich guter Rat schon teuer gewesen (Jan dürfte mit seiner späteren Aussage, dass er sich nicht sicher sei, ob man Tfe1 oder Tae1 vor dem Bauernopfer spielte, den Nagel auf den Kopf getroffen haben - Tae1 wäre vermutlich angebrachter gewesen). Jedoch hätte Weiß bei ruhigem Spiel mit zum Beispiel 15.Tad1 noch gewisse Kompensation behalten.
Eine Demonstration, was einem in der Bundesliga wiederfahren kann, lieferte Markus‘ Gegner (GM Alvar Alonso Rosell). Mit Weiß eröffnete er äußerst bescheiden:
Doch in der Folge überspielte der Spanier Markus nach allen Regeln der Kunst. Man vergleiche nur Aktivität und Raum gerade mal 10 Züge später:
Eine letzte interessante Chance hatte Markus tatsächlich noch, wie er auf der Rückfahrt erzählte:
In dieser Stellung spielte Markus 20...f5 21. Sfd2 Sc5 22.Lb4! und gab kurz nach 22...axb4 23.Sxc5 auf. Stattdessen hätte 20...Sc5 noch eine kleine Falle aufgestellt: 21.Lb4? geht jetzt nämlich nicht mehr, da Schwarz den Zwischenzug 21...Lxe4 hat. Nach 22.Dxc5 axb4! ist Weiß der betrogene Betrüger. Nach 21.Sfd2! wäre am Ergebnis aller Wahrscheinlichkeit nach aber auch nicht zu rütteln gewesen.
Ähnlich erging es Anthony gegen den zweiten Spanier (GM Miguel Santos Ruiz) in Münchener Diensten. Es wirkte ausgangs der Eröffnung recht passabel für Schwarz, doch ohne offensichtlich etwas falsch gemacht zu haben, rutschte Anthony in eine schlechte Stellung:
Hier ist Weiß schon leicht am Drücker, aber nach dem auf den ersten Blick logischen 14…Sd4 demonstrierte der Großmeister sein Schachverständnis. Mittels der Sequenz 15.axb5 axb5 16.Txa8 Dxa8 17.Sxd4! cxd4 18.Sf5 entledigte er Schwarz zwar seines Doppelbauerns, übernahm jedoch die Initiative. Zudem hatte er die Schwäche der schwarzen Bauern korrekt eingeschätzt.
Es dauerte nur 11 Züge, bis alle(!) schwarzen Bauern von b5 bis f7 vom Brett verschwunden waren und die Aufgabe erfolgte wenig später.
Nach diesen Ergebnissen wäre schon mehr als ein mittelgroßes Wunder nötig gewesen, um noch den Ausgleich zu schaffen. Aber man kann ja immer Ergebniskosmetik betreiben und jedes erkämpfte halbe oder gar ganze Pünktchen ist für uns als Underdog natürlich schon ein Grund zum Feiern.
Artem empfand den halben Punkt als zu wenig und machte sich von Anfang an motiviert daran, die vorsichtig ausgedrückt ungewöhnliche Eröffnungsbehandlung seines Gegners (IM Peter Meister) zu bestrafen. Damit machte er auch gute Fortschritte:
Mit der Abwicklung 9.Lxc6 Lxc6 10.g4! Sh6 11.Lxh6 ruinierte er die schwarze Bauernstruktur. Zudem ist das Springerpaar dem Läuferpaar hier nicht unterlegen, was sich im Laufe der Partie noch klarer herauskristallisieren sollte.
Durch energisches Spiel konnte Artem einen Turm seines Gegners festsetzen. An diesen heranzukommen, erwies sich jedoch als deutlich schwieriger. Bald kam es zu dieser kuriosen Stellung:
Beide Seiten finden es nicht einfach, Kapital aus den verirrten Türmen zu schlagen bzw. Fortschritte zu machen.
Bei knapper Zeit konnte jedoch der IM die Spannung nicht mehr halten und initiierte eine Abwicklung. Diese hatte jedoch ein schönes Loch, was Artem sogleich demonstrierte und damit einen starken und verdienten Sieg einfuhr:
Ein Sieg bei Ilja oder mir war zu keinem Zeitpunkt wirklich realistisch, aber zwei Remisen wären durchaus drin gewesen.
Ilja hatte sich auch nach der Eröffnung weitestgehend gut geschlagen (wer Stockfish als Maßstab anlegt, wird niemals glücklich) und das Gleichgewicht gehalten. Wie er selbst in der späteren Analyse bemerkte, gab es einen ersten Moment, um die Aufgabe erheblich zu vereinfachen:
Hier konnte Ilja mit der Idee 32…c5, was dem Läufer das Feld c6 freischaufelt, das weiße Spiel nachhaltig einschränken. Anschließend schieben sich auf beiden Seiten die Bauern hoch, aber Schwarz ist schnell genug, um jegliche weiße Hoffnung auf einen Sieg zu ersticken.
In der Partie folgte 32…f5 und auch wenn die Stellung in Ordnung blieb, behielt sie ihren komplexen Charakter. Kurz vor der Zeitkontrolle traf Ilja dann eine folgenschwere Entscheidung:
Schade, so nah und doch so fern. Am Ende ist es eben auch der Unterschied: bei uns gehen solche halben Punkte immer mal wieder verloren, während auf der anderen Seite solche halben Punkte eher gerettet werden.
Damit verbleibt mir nur noch, meine Partie zu besprechen. Schaut man sich nur isoliert Abschnitte der Partie an, kann ich zufrieden sein. Leider ist Schach ein Spiel, welches nur begrenzt viele Fehler toleriert.
Mein Gegner (GM Klaus Bischoff), der eigentlich als Kommentator vorgesehen war, hatte sich erfolgreich jeder Eröffnungsdiskussion entzogen, indem er unerwartet mit 1.b3 begann. Vorteil konnte er damit aber nicht erzielen:
Nun ja, jedenfalls nicht, wenn man hier zum Beispiel mein ursprünglich geplantes 17…e5 spielt. Statt die Stellung im Gleichgewicht zu halten, patzte ich jedoch mit 17…h6. Weiß ließ sich nicht lange bitten und schlug auf e6 ein. Ein Bauer war weg. Um den Trend zu wenden und noch in der Partie zu bleiben, versuchte ich es mit 18.Sxe6 Lxe6 19.Lxc6 f4!?, was – wie der Rechner bestätigt – mehr ein Bluff war. Aber lieber etwas versuchen, als ohne Gegenwehr eingehen. Und es funktionierte: statt mit 20.gxf4 darauf zu vertrauen, dass es sich nur um ein Strohfeuer handelte, ging mein Gegner mit dem Rückzug 20.Lg2 auf Nummer sicher.
In der Folge schwankte die Bewertung zwischen verloren und vielleicht noch nicht verloren, aber es bestand wieder Hoffnung. Mit dem Nachteil konnte ich mir aber weniger erlauben und entschied mich in der Not dazu, in ein Doppelturmendspiel abzuwickeln. Ich hatte es schon vermutet, aber als es dann auf dem Brett stand, erspähte ich bald den Gewinnweg. Ich traute meinen Augen kaum, als nicht nur der Gewinnzug nicht kam, sondern bald darauf auch der ganze Vorteil vergeben wurde.
Es hätte so schön sein können, aber nachdem ich eine ganze Weile das Remis gehalten hatte, machte ich mich daran, mit Nachdruck auf Verlust zu spielen. Mit der Unruhe um die ungeklärte Rückfahrt im Rücken und der Tatsache, dass ich die letzte laufende Partie wurde, fing ich an, mir keine Zeit mehr zu nehmen. Meine Remisfestung erschien mir überzeugend – wenn man nur nicht den einen Weg hinein öffnen würde…
Als hätte ich nicht schon genug Schaden angerichtet, beging ich im Anschluss direkt den nächsten Kardinalfehler: ich kam nach einer Weile Rechnen zu dem Schluss, dass ich auf Verlust stand. Irrtum! Jedoch konnte ich mit dieser Einstellung nicht mehr wirklich die nötige Gegenwehr aufbringen.
Um meine Laune noch zu verschlechtern, musste ich feststellen, dass es nicht nur noch Remis war, sondern ich für einen Zug sogar nachdem ich das Endspiel wirklich vergeigt hatte, noch eine weitere Chance bekam.
Als warnendes Beispiel möge es dienen:
Somit stand am Ende ein 2,5-5,5 zu Buche. Ein knapperes Ergebnis wäre sicherlich drin gewesen, für einen Punktgewinn hätte aber doch mehr zusammenlaufen müssen, als realistisch gewesen wäre.
Einen positiven Abschluss (mit Einschränkungen) hatte das Wochenende dann auch noch: wir sind alle aus München wieder weg gekommen - bei dem Wetter keine Selbstverständlichkeit.
Um 00:02 Uhr in Hannover am Hauptbahnhof endete dann für mich ein ereignisreiches Wochenende mit sicherlich auch Tiefen, aber ebenso viel Spaß und vielleicht auch unerwarteten Höhen.
Wir werden uns auch den Rest der Saison alle Mühe geben, die Erwartungen zu übertreffen!
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