DSEM in Neumarkt

Letztes Wochenende (21.09. und 22.09.) fand im schönen Neumarkt irgendwo in Bayern die diesjährige offene deutsche Schnellschacheinzelmeisterschaft neben der deutschen Frauenschnellschacheinzelmeisterschaft statt. Qualifiziert hatten sich die HSK-Spieler Dr. Torben Schulze und ich über die LSEM im Januar in Verden. Torben musste leider kurzfristig aus beruflichen Gründen absagen, sodass ich leider nur meine Sicht des Turniers beschreiben kann. Gespielt wurde mit 15 Minuten und 5 Sekunden Zeitzuschlag pro Zug. Das Feld war wie erwartet stark besetzt, mit 36 Spielern, darunter diverse GM, IM, FM und keine CM. Das führte dazu, dass ich – auch aufgrund eines jüngst schlecht gelaufenen ausgewerteten Schnellturnieres in Lüneburg – mit meiner Schnellschachelo im untersten aller vier Viertel Platz nehmen durfte, eine entspannte Ausgangslage.


Tag 1 (Runde 1–5)

In der ersten Runde hieß mein Gegner FM Hirneise, wobei mir aus dem frühen Mittelspiel heraus ein Damenopfer gegen einen Turm, einen Läufer und einen Springer Vorteil gebracht haben dürfte. Für die praktische Partie war dieser Haufen an Material nicht unbedingt leicht in eine Wurst (alle Figuren decken sich gegenseitig) zu pressen und unter Einwirkung der Zeit verlor ich Kontrolle und Partie. In Runde zwei war mein Gegner der für die Ukraine spielende FM Promyshlyanskyy. Dieser opferte kurz nach Ende der Eröffnung zwei Bauern für einen scheinbaren Königsangriff, dessen Abwehr mir den ersten vollen Punkt einbrachte. Drittrundengegner IM Aljoscha Feuerstrack war ein alter Bekannter, gegen den ich in Blitzpartien bisher fast immer den Kürzeren gezogen hatte. Da wir mittlerweile ein paar Matches hatten und er meine Hauptsysteme kannte, beschloss ich, in mein Zweitsystem Englisch zu wechseln. Dies hatte leider den Nachteil, dass wir schnell aus der Theorie kamen und ich chancenlos überspielt wurde.
In der Folgerunde spielte ich mit Schwarz gegen FM Marcziter, der sich in meiner Tschigorinverteidigung besser auskannte als ich und nach einem Patzer in der Eröffnung einen Mehrbauern verzeichnen konnte. Das dynamische Springerpaar schaffte es aber durch Mithilfe, das Zentrum aufzufressen und es kam (wohl auch aufgrund verfrühter Vereinfachungen meinerseits) zu einem Damenendspiel mit drei gegen zwei Bauern an einem Flügel, welches ich leider nicht gewinnen konnte. Mit der nächsten Partie schaffte ich durch einen Blackout meines Gegners die 50% für den ersten Tag, sicherlich ausbaufähig, aber nicht abgrundtief schlecht.



Tag 2 (Runde 6–9)

Nach der Halbzeit ging es am nächstem Tag weiter mit den letzten vier Runden, beginnend mit meinem Lieblingsgegner FM Karsten Schulz. Dieser gestaltete mir die Partie nicht ganz so freundlich wie in unseren letzten sieben oder acht Begegnungen und ich musste unter Zeitdruck ein Turmendspiel mit Minusbauern Remis halten. Sodann folgte IM Rosner, der eine mir unbekannte Untervariante des Damengambits spielte, welche mich früh in Zeitnot brachte. In einer komplizierten Stellung unterschätzte er einen kleinen Mattangriff und verlor einen Turm und die Partie. Die anschließende Partie war wohl das Highlight meines Turnieres, mein Gegner war GM Prusikin, der allerdings bisher ein verhältnismäßig schlechtes Turnier spielte. Die Partie konnte ich glücklicherweise rekonstruieren:

[Event "Französisch Durchzug: Pruskin-Vöge"] [Site "https://lichess.org/study/XxkfVsXR/o5CbLes1"] [White "Prusikin, M"] [Black "Vöge, T"] [Result "0-1"] [WhiteElo "2518"] [WhiteTitle "GM"] [BlackElo "2181"] [BlackTitle "FM"] [UTCDate "2019.09.22"] [UTCTime "12:41:05"] [Variant "Standard"] [ECO "C02"] [Opening "French Defense: Advance Variation"] [Annotator "https://lichess.org/@/Unkreativ3"] 1. d4 e6 2. e4 { Eine interessante Wahl. Warum jetzt doch Französisch und nicht ein angedeutetes D4-System? Weiß wird schon seine Gründe haben. } 2... d5 3. e5 { Ich spiele Französisch eher selten und hatte die meines Wissens aus der Mode gekommene Durchzugsvariante vielleicht ein oder zweimal in einer Langzeitpartie auf dem Brett, eventuell wollte Prusikin mich aus bekannten modernen Theoriegewässern in alte Klassiker locken, von denen ich keine Ahnung haben könnte. } 3... c5 4. c3 Ne7 { Eine seltener gespielte Nebenvariante, hatte ich bisher noch nicht in richtigen Partien auf dem Brett und nur einmal irgendwann vorbereitet. } 5. Nf3 Nec6 6. h4?! { War mir in dieser Variante nicht bekannt und ich verstehe den Sinn auch immer nicht so richtig. Eventuell wollte dieser Zug mich einfach aus der Theorie bringen. } (6. Bd3 b6 7. O-O Ba6 { Wäre die Hauptvariante, wobei Schwarz seinen unschönen Läufer abtauscht und annehmbar steht. }) 6... b6 { Der Sinn des seltsam anmutenden Springerschwenks: a6 ist durch b8 überdeckt und der weißfeldrige Läufer möchte sich abtauschen. } 7. Be2 Ba6 8. Bxa6 Nxa6 9. Bg5 Be7 10. Bxe7 Qxe7 11. h5 { Oft spielt man auf diesen Plan im Franzosen selbst h6, damit kein weißer Keilbauer auftritt und das Feld f6 nicht geschwächt wird, allerdings droht meinem König keine große Gefahr durch den Keilbauern, Weiß hat viele potenzielle Angreifer bereits abgetauscht und die schwarzen Felder werden so schnell nicht schwach. } 11... Nc7 12. h6 g6 { Der h6 kann nun seinerseits schwach werden, insbesondere, sollte Weiß kurz rochieren. Schwarz besitzt ein wenig Entwicklungsvorsprung und verfügt über eine angenehme Stellung. } 13. Na3 O-O 14. Nc2 f6 15. exf6 Qxf6 16. Ne3 { möchte das Feld e5 mit Sg4 und Tempo in Beschlag nehmen, allerdings wird der D4 nun schwach. } 16... cxd4 17. cxd4 Nb5 18. Rh4 Qe7! { Bereitet das nachfolgende Qualitätsopfer auf f3 vor und bietet die Möglichkeit, mit der Dame auf den Damenflügel zu schwenken. } 19. Rg4 $7 Rxf3!? { Ein thematisches Quallenopfer, welches meiner Erinnerung nach relativ viel Zeit in der Berechnung in Anspruch nahm. Nach diesem Zug hatte ich noch schätzungsweise zwei Minuten, ein nicht zu unterschätzendes Faktum in dieser komplizierten Stellung. } (19... Nd6 $15 { würde mit langsamem Spiel ebenfalls zu einer soliden Stellung führen, das Problem bleibt weiterhin der weiße König, jedoch ist der Druck auf d4 nicht mehr so belastend. }) 20. Qxf3? (20. gxf3 $44 { wäre wegen der Partiefortsetzung etwas besser, wobei Schwarz durch Bauernstruktur und angreifbare Schwächen weiterhin Kompensation haben dürfte. }) 20... Nbxd4 (20... Qb4+? 21. Kf1 Nbxd4 22. Qf6 $18 { und Weiß steht auf Gewinn, nachdem Schwarz wegen des Damentausches auf f8 kein Kapital aus dem gegnerischen König schlagen kann. }) 21. Qd1 Qb4+ 22. Kf1 (22. Qd2? { scheitert an } 22... Nc2+ 23. Nxc2 Qxg4 $17) 22... Qb5+ (22... Qxb2?! 23. Rb1 Qxa2 24. Ra1 Qb2 25. Rb1 Qc3 26. Rc1 Qa3 { war mein Notfallplan bei der Berechnung des Opfers auf f3. Die mögliche Zugwiederholung war ein Grund für den Einschlag, jedoch gefiel mir im Vergleich zur Partievariante die Aktivität des a1 nicht und ich ging lieber auf Königsangriff. }) 23. Kg1 { Der König scheint in Sicherheit, jedoch gelingt ein Einstieg über die H-Linie. Dass ich leider keine Figur gewinne, sah ich vor Txf3, jedoch erschien mir der Angriff stark genug. An der Stelle hätte ich vermutlich ruhig weniger rechnen dürfen, um jetzt noch Zeit für die präzise Fortsetzung zu haben. } 23... Ne2+ 24. Kh1 (24. Kh2?? d4 $19 { gewinnt ob des Lilienmatts eine Figur. }) 24... d4 25. Nf1 { Soweit, so gut, jetzt musste ich wieder rechnen, es gibt sicherlich verschiedene Kandidatenzüge und im Nachhinein war ich mir sicher, nicht den objektiv besten gefunden zu haben. } 25... Rf8 { Meine Bedenken formulierten sich hier, da mein Gefühl eine bessere weiße Fortsetzung anstelle von f3 vermutete. } 26. f3? { sieht auf den ersten Blick natürlich aus, jedoch findet auch die Engine eine Variante, die zum Ausgleich führt. } (26. Ng3! { hatte ich aufgrund der Zeit nicht ansatzweise berechnet und gebe ich an dieser Stelle nur wegen witziger Enginevarianten an. } 26... d3 (26... Rxf2 27. Nxe2 Rxe2 28. Rg5! { tauscht Angreifer ab und plötzlich wird mit der Aktivierung des a1 die schwarze Königsstellung langfristig schlechter. }) 27. Qe1 Ncd4 28. Rd1 Rf4 29. Rxf4 Qg5!! { Krass... } 30. Nxe2 Qxh6+ 31. Kg1 Nxe2+ 32. Qxe2 dxe2 33. Rd8+ $10 { und ein knuffiges Dauerschach entsteht. }) 26... d3? (26... Rf5! $19 { Eine starke Aktivierung. Dieses Motiv kommt später noch zum Vorschein, wäre hier jedoch schon vernichtend. }) 27. Qd2? { Wohl der Verlustzug, aber bei etwa einer Minute Restzeit nicht sofort ersichtlich. } (27. Qb3! Qh5+ 28. Nh2 { Der Angriff ist vorerst abgewehrt und Gegenspiel wurde angezettelt. Die Engine gibt Schwarz auch noch jetzt Vorteil wegen der besseren Figurenkoordination, jedoch ist die Stellung weiterhin durchaus komplex und Weiß hat eventuell durch die gerettete Majestät einen psychologischen Vorteil. }) 27... Qh5+ 28. Nh2 Rf5!! { Die angekündigte Aktivierung, hier sogar ein wenig schöner, weil mit potenziellem Damenopfer. Das Bullettraining macht sich bezahlbar, die letzte Minute ist erreicht. } 29. Qe1 (29. Qxd3?? Qxh2+ 30. Kxh2 Rh5+ 31. Rh4 Rxh4# $15) 29... Qxh6 30. Rh4 Qg5! { Feinheit! Das Feld g4 muss blockiert werden. } (30... Qe3?? 31. Ng4 { und Weiß ist wieder draußen. }) 31. Rg4 Qe3 32. Rd1 Ne5 { Aktiviert die letzte Figur. } (32... Rh5! { hätte noch schneller gewonnen. }) 33. Re4?? {nach dem folgenden Zug (durch regelmäßiges Puzzlerushtraining auf chess.com binnen weniger Sekunden mit zitternder Hand auf das Brett gestellt) kam die Aufgabe mit sportlicher Gratulation des GM zum schicken Abschluss (Aufgabe, SaZ)} 0-1
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In der letzten Runde war einer der Spieler des ausrichtenden Vereins gegen Spielfrei gepaart worden und somit wurde sein Livebrett (die beiden heimischen Spieler hatten Fixbretter) an die ersten Spieler ohne bereits erspieltes Livebrett weitergegeben. Meine Remispartie gegen FM Muranyi findet sich deshalb auf chess24 (https://chess24.com/de/watch/live-tournaments/deutsche-schnellschach-me…), wo auch die Partien der starken Spieler und der Ausrichterbretter nachspielbar sind.

Insgesamt kam ich auf 5,5 Punkte und eine grottige Buchholz, was für eine Top-Ten-Platzierung reichte und das persönliche Ziel von 50% erfüllte. Im Damenturnier kam die niedersächsische Vertreterin FM Lara Schulze auf einen soliden vierten Platz, der aufgrund eines verhältnismäßig schlechten ersten Tages ein wenig hinter den hohen Zielen zurückblieb. Die Turniere wurden protestfrei und mindestens in den stichprobenartigen Kontrollen auch meines Wissens dopingfrei über die Bühne gebracht und hinterlassen durch die saubere Organisation einen schönen bleibenden Eindruck. Deutscher Schnellschachmeister wurde GM Alexander Donchenko vor GM Rainer Buhmann und GM Andreas Heimann, bei den Damen siegte WIM Annmarie Mütsch.

Zum Bericht des DSB: https://www.schachbund.de/spielbetrieb-news/annmarie-muetsch-und-alexan….
Einzelergebnisse und Kram mit Eloauswertung: http://chess-results.com/tnr455975.aspx?lan=0.

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