Eiskalt im Berliner Schneetreiben

Ein Schachbrett, im Hintergrund ein Laptop, auf einem Zugtisch
Bildunterschrift Hauptbild
Moderne Technik kombiniert sich mit altmodischen Holzfiguren für hervorragende Vorbereitung

Erneut hatten wir in der zweiten Bundesliga an zwei Tagen gespielt und die Berichte werden entsprechend aufgeteilt. Vom Samstag berichtet David Höffer:


Der Weg nach Berlin ist von Hannover, Hamburg und Bremen eigentlich ganz bequem, doch in der Hauptstadt wird es dann schon schwieriger, wenn sich der Spielort im recht weit nördlich gelegenen Tegel befindet. Schneetreiben und Essenssuche in Spandau, eine lange Busfahrt durch einen Wald (der Vorschlag, doch „eine Haltestelle früher auszusteigen“ hätte bei einer Fahrzeit von 7 Minuten zur nächsten Haltestelle doch recht anstrengende Folgen gehabt) und ein Verlaufen in Tegel brauchten unseren Puffer weitgehend auf, doch kamen wir bei weitem nicht so spät wie Markus‘ Gegner, GM Jakov Meister: Der stürmte erst 3 Minuten vor Ende der halbstündigen Karenzzeit in den Spielsaal, machte einen Zug und lief mit dem Hinweis, er müsse noch sein Auto parken, auch direkt wieder hinaus. Da diese Partie als letzte anfing, war es nur fair, dass sie auch als letzte aufhören sollte…

Wir mussten auf Ilja und Stefan verzichten und daher leider die Zweite durch das Hochziehen von Moritz schwächen, was gleich zu deren erster Saisonniederlage führte. Trotzdem sah es nach der Eröffnung so gut für uns aus, dass Torben sich entschied, seine vorteilhafte Stellung gegen den über 100 Punkte stärkeren IM Stachowiak Remis zu geben.
 

Schwarz einen vereinzelten d-Bauern


Weiß hat eine komfortable Stellung, in der Torben mit 15.Lb3!? hatte fortsetzen wollen. So wie Torben diese Saison auftrumpft, sollte er aber vielleicht generell alles weiterspielen.
Wir hatten aber bei Dennes, dessen Gegner gefühlt gar nicht aus der Eröffnung kam, und Markus sehr vorteilhafte Stellungen, Jakob hatte zudem einen Mehrbauern und eine Schwarz-Stellung, die er korrekterweise als „ungefähr -1,5“ einschätzte.

 

Weiß hat Raumvorteil und das Läuferpaar


Dennes‘ Gegner hat sich bereits in eine schwierige Lage manövriert, die Bauernstruktur am Königsflügel, der Lf8 und das weiße Läuferpaar lassen auf einen schnellen Sieg für Weiß hoffen. Hier wäre unbedingt 18…e6 oder 18…Kb8 erforderlich gewesen, nach 18…Dd7? hingegen hat Weiß die Auswahl zwischen verschiedenen vielversprechenden Optionen. Dennes entschied sich für die stärkste: 19.d5! +- e6 20.Lh3 (d6!? ist weniger streng) cxd5 21.exd5 und es schien nur noch die Frage zu sein, wie die Partie letztlich gewonnen wird.
 

Schwarz hat nicht rochiert, dafür einen Mehrbauern


Der schwarze Mehrbauer sichert ihm in dieser französischen Struktur Vorteil. So eine Stellung in einer praktischen Partie zu spielen, muss man natürlich mögen, aber Jakob sollte der richtige Mann für die Aufgabe sein, den Vorteil zu verwerten.
 

Weiß hat Raumvorteil und das Läuferpaar


Markus‘ Vorteil war ebenfalls deutlich: Materiell herrscht zwar Gleichstand, doch das weiße Läuferpaar und der Raumvorteil kombiniert mit den schwarzen Schwächen auf e7 und b6 lassen die Bewertung bereits in den Himmel schießen. Die schwarzen Figuren kommen zu diesem Zeitpunkt kaum ins Spiel, was sich später noch ändern sollte…
 

Alles tauscht sich ab


Auch bei Jan gab es ein relativ schnelles Remis, das keine Fragen offen ließ. Eine sehr solide Schwarzpartie, in der er den Anzugsvorteil von IM Michal Luch (Markus und mir noch als Teamkollege aus Delmenhorster Zweit- und Bundesligazeiten bekannt, damals mit neun Remis in der Zweiten Liga) gekonnt neutralisierte.

Das nächste Ergebnis war leider eine Niederlage: Ich musste gegen den mit 2503 klar Elo-stärksten Zehlendorfer, GM Marcin Tazbir, antreten, war also ohnehin neben Moritz deutlichster Außenseiter. Allerdings stand ich eingangs des Mittelspiels ziemlich gut, allerdings mangelte es mir an Stellungsverständnis, so dass ich diesen Vorteil gar nicht erkannte, am falschen Flügel spielte und bald wirklich schlecht stand.
 

Weiß hat nicht rochiert und die offene h-Linie


Hier setzte ich mit dem nicht stellungsgemäßen 14.a4? fort, hätte aber mit 14.Dd3! in Vorteil kommen können. Nach 14…Lf7 (14…e4 15.Dd2 lässt Schwarz wenig Pläne, während sich Weiß langsam mit 0-0-0, De1-g1-h2 in einen starken Angriff begeben kann, zudem den Hebel f3 hat) 15.dxe5 fxe5 16.Lh4 wiegt das optisch starke schwarze Zentrum nicht schwer genug. Stockfish zeigt hier Varianten an, die ich auch mit seiner Hilfe kaum verstehe: 16…Dd6 (besser Lf6), 17.0-0-0 De6 18.e4! d4 19.Dg3! mit Figurenopfer dxc3 20.b3! und danach gewinnt Weiß sogar ohne einzige Züge gegen das in Schwierigkeiten steckende schwarze Königspaar.

Hätte ich so gespielt, hätte ich mich allerdings vermutlich für eine der in der Zweiten Liga stichprobenartig durchgeführten Leibesvisitationen qualifiziert. Mit meinen Zügen ließ ich absolut keinen Cheatingverdacht aufkommen, verlor nach 39 Zügen und qualifizierte mich stattdessen dafür, diesen Bericht zu schreiben, weil ich jetzt viel zuschauen konnte.

Was in der Zeitnotphase – wie schon gegen die SF Berlin II – eine nervenaufreibende Sache war: Moritz musste diese unangenehme Stellung passiv verteidigen:
 

Schwarz steht passiv und verliert bald einen Bauern


Das tat er umsichtig, im 40. Zug fiel zwar der e4, doch objektiv war das schlimmste da schon vorüber. Trotzdem: Ein Endspiel gegen einen erfahrenen IM mit Minusbauern stand bevor.

Felix hatte eine ähnlich passive Verteidigungsaufgabe, die er hier aber mit 34…a5 ein wenig aktiver anging:
 

Weiß hat Raumvorteil Weiß hat zwei Mehrbauern, Schwarz aktive Figuren


Diese Aufnahme schon einige Zeit nach der Zeitnotphase zeigt die Entwicklung bei Markus: Er hatte zwar schon länger einen, nun sogar zwei Mehrbauern, doch die schwarzen Figuren sind mittlerweile unangenehm ins Spiel gekommen. Nach dem einzigen Gewinnzug 56.Sxd6 musste Markus mit sehr ungleichem Material seinen Vorteil verwerten, TLS und vier Bauern gegen TTS und einen Bauern war das Ergebnis der folgenden Operationen. Objektiv klar gewonnen, mit schwindender Zeit aber kein Selbstläufer und für die Kiebitze Basis vieler Spekulationen.

Dennes hatte es irgendwie geschafft, seinen klaren Vorteil zu einer unklaren Stellung werden zu lassen, aber am heißesten ging es bei Jakob her. In einer wilden Stellung lebten beide für ungefähr 15 Züge von nicht viel mehr als dem Inkrement, zogen teilweise mit 1-3 Sekunden auf der Uhr und aus unserer Sicht ging der Trend klar in die falsche Richtung. In dieser Situation war die weiße Initiative deutlich wertvoller als der schwarze Mehrbauer und so fand IM Raphael Lagunow einige starke Ideen, um dem offenen schwarzen König und dem auf Abwege geratenen Springer zuzusetzen.
 

Der schwarze König steckt im Zentrum fest


Dies ist die kritische Stellung in Jakobs Partie: Die schwarze Dame muss ziehen, Jakob stellte sie durchaus nachvollziehbar nach g7, von wo sie b2 im Auge behält und d4 für den Springer deckt. Danach aber kommt Weiß in Vorteil, stärker war 27…Dg5! mit dem möglichen Schwenk nach d5. Auch dann bleibt es aber sehr kompliziert und man muss noch viele gute Züge finden. Nach 27…Dg7 28.Tad1! +- gibt es nicht mehr viele gute Züge und Weiß setzte stark fort: …Ld5 29.Lxa6 Kf8 30.Txd5! exd5 31.Lxb7 und Weiß wird über kurz oder lang den Springer einsammeln (z.B. nach …Tc1 32.Txc1 Sxc1) oder im Königsangriff siegen, wie es letztlich geschah.

Nachdem Jakob aufgeben musste und wir plötzlich befanden, dass Dennes im Endspiel wohl auf Verlust stünde, schien das Déjà vu zum letzten Mannschaftskampf perfekt. Wieder gut gestanden, wieder in der Zeitnotphase die Felle an mehreren Brettern davon geschwommen, wieder drohte eine klare Niederlage. Gar noch einen Mannschaftspunkt zu erzielen, erschien zu diesem Zeitpunkt völlig undenkbar.
 

Weiß spielt am Damenflügel, bei Schwarz läuft der f-Bauer


Das einzige, was von Dennes‘ Stellung im Vergleich zu oben noch wiederzuerkennen ist, ist der schwarze Doppelbauer. Nach der klaren Gewinnstellung im Mittelspiel musste Dennes sich nach der Zeitkontrolle diese Endspiel-Ruine anschauen, die Schwarz entweder mit 32…Kxh4 und laufen der Bauern oder recht linear (aber mit langer Zugfolge) berechenbar auch mit 43…f3 44.Le4 f2 45.Ld3 (bis hierhin noch auf dem Brett) und nun oder später Sxb5, den h4 abholen, den f-Bauern unterstützen, den verbliebenen weißen Bauern abholen, während der weiße König zu den g-Bauern läuft und mit dem a-Bauern gewinnen. Stattdessen zog Schwarz aber 45…Sd5?, wonach der Vorteil bereits wieder verschwunden ist…

Doch während ich mit Torben bereits nach einem Restaurant für den Abend fahndete und sogar Jan langsam einsah, dass es mit dem Aufstieg nichts mehr werden würde, geschah an Dennes‘ Brett der nächste Teil der wundersamen Achterbahnfahrt: Gefühlt hatte Dennes ungefähr 5 Tempi aufgeholt, während seine Bauern am Damenflügel vorgerückt waren, hatte IM Leonid Sawlin kaum Fortschritte gemacht. Und nun zeigten sich bald die beiden Gewissheiten des Leichtfigurenendspiels: Erstens: Der Läufer kann auf beiden Flügeln gleichzeitig agieren. Zweitens: Der Springer kann nicht gut mit gegnerischen Randbauern umgehen. Zu spät erkannte Sawlin die Gefahr und verpasste auch noch die letzte Chance zum Remis – Dennes gewann doch noch (wer nach zwei Stunden den Turniersaal verlassen hätte, hätte dieses Ergebnis vielleicht schon mal in Gedanken eingetragen gehabt).
 

Weiß hat einen unaufhaltsamen a-Bauern


Der g-Doppelbauer ist immer noch da, aber der Läufer hat seine Kraft ausgespielt, womit der verbleibende weiße Bauer am Damenflügel für die Entscheidung sorgt.

Plötzlich sah die Welt wieder ganz anders aus, zumal Felix sein Remis gesichert hatte. Moritz und Markus kämpften an den beiden hinteren Brettern noch lange weiter. Die positiven Thesen über die beiden („Moritz ist gut in Endspielen und hält das!“, „Markus ist genau der richtige, um den Druck beim Stand von 3:4 auszuhalten!“) bewahrheiteten sich und nach 6h20 konnte sich Markus für den 4:4-Ausgleich feiern lassen.
 

Weiß hat einen Mehrbauern


Hier verpasste IM Alexander Lagunow die letzte Chance auf Vorteil gegen Moritz: Td6-b6 (mit Zwischenschach auf f6, falls Kf5) hätte Weiß gute Siegchancen gegeben, nach 51.Sc5 hingegen verflachte das Endspiel zum ersehnten Remis.
 

Mit dem nicht mehr für möglich gehaltenen Punktgewinn in der Tasche war die Stimmung natürlich sehr positiv und die recht lange Bahnfahrt zu unserem eher im Zentrum Berlins gelegenen Hotel störte niemanden. Der Vorteil der Hotellage war das reiche Angebot an Gastronomie, das wir in Form des vorzüglichen indischen Restaurants ANAND nutzten – welcher Schachspieler könnte bei dem Namen noch ein anderes Lokal suchen wollen?
 

Eine Speisekarte


Allein die vegane Karte bei ANAND bietet schon eine große Auswahl leckerer Speisen.
 

Ein Straßenschild "Hannoversche Straße"


Der Weg zum Hotel führte zum Teil durch die Hannoversche Straße. Dann kann ja nichts mehr schiefgehen.


Vielen Dank an David für seinen Bericht! Die Fortsetzung zum Sonntag folgt... (dieses Mal doch hoffentlich nicht erst nach dem nächsten Spieltag, siehe https://www.schachklub-hannover.de/warum-zahlen-nicht-die-ganze-wahrheit-sind-eine-ueberfaellige-rekapitulation für den nachgelieferten Bericht)

Neuen Kommentar hinzufügen