Hohe Kunst in der Bundesliga

4 Lister in der Solinger Galerie
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DIe Laune vor dem Spiel ist gut bei David, Torben, MF Tobias und Christian (v.l.n.r.)

Von dem Auswärtswochenende in dem Solinger Kunstmuseum berichten die spielenden Autoren Jakob Pfreundt und David Höffer. Vielen Dank!
Das Wort für den Samstag hat Jakob Pfreundt:

Das dritte Bundesligawochenende in Solingen begann mit der 5. Runde gegen SV Mülheim Nord – eine Mannschaft, die sicher nicht zu den stärkeren zählt, unserem Amateurhaufen aber nominell natürlich trotzdem deutlich überlegen ist. Sparen wir uns eine ausufernde Einleitung und steigen wir direkt ins Schachliche ein.

Die erste beendete Partie war meine eigene – ich durfte mich mit keinem geringeren als GM David Navara auseinandersetzen. In meiner Vorbereitung entschied ich mich für eine solide Behandlung seiner Hauptwaffe Najdorf mit 6.a4

Tatsächlich funktionierte das sehr gut – ohne große Bemühungen meinerseits erreichten wir eine ausgeglichene, für mich aber äußerst stabile Position, in der ich keinerlei praktische Probleme lösen musste. Meine beste Chance auf einen kleinen Vorteil hatte ich vermutlich in dieser Stellung:

 

Pfreundt - Navara

 

Hier hätte ich mich darum bemühen können, den e1-Springer zu aktivieren, indem ich mit 22.Td2 den c2-Bauern decke und damit das Manöver Se1-d3-b4 vorbereite.

Stattdessen wählte ich das weniger filigrane 22.Dd2, was …Sc8 forciert. Dort steht der Springer nicht besonders gut, aber die schwarze Stellung ist robust und ich kann meinen eigenen Springer auch nicht ohne Weiteres reanimieren, da dieser, genau wie sein Gegenüber auf c8, eine defensive Funktion erfüllen muss – nämlich den c2-Bauern decken. 

Wenige Züge später endete die Partie bereits in einer Zugwiederholung. Ein vernünftiges Ergebnis gegen meinen bislang stärksten Gegner überhaupt (gleich am nächsten Tag sollte das Solinger Spitzenbrett diesen Titel ablösen) und ein erster eingesammelter halber Punkt für unsere Mannschaft.

Torben musste sich am dritten Brett mit Fridmans moderner Verteidigung auseinandersetzen und geriet nach und nach in eine sehr unangenehme Stellung. 

 

Schulze - Fridman 1

 

Hier entschied sich Torben für 15.Lxe5!? dxe5 16.f5, was den gegnerischen Fianchetto-Läufer einmauert. Nach 16. …Dd4+ wäre aber 17.Kh1! konsequent gewesen, um die Struktur beizubehalten. Torben tauschte stattdessen die Damen, wonach die gegnerische Bauernarmee nach den Zügen 17.Dxd4 cxd4 18.Sd5 Sxd5 19.exd5 e4 beträchtlich an Mobilität dazugewann:

 

Schulze - Fridman 2

 

Hier sollte Weiß vermutlich alles daran setzen, den Läufer möglichst aktiv zu halten: mit 20.Lc4 (nötigenfalls gefolgt von b2-b3) hätte man die c-Linie blockieren und den Läufer zwei Funktionen erfüllen lassen können: entlang der a2-g8-Diagonale eine offensiv und auf der f1-a6-Diagonale eine defensiv Funktion, die insbesondere darin besteht, den schwarzen Bauern das Vorankommen zu erschweren. Stattdessen folgte eher passiv 20.Tf4 gxf5 21.Txf5 Tac8 22.Ld1

 

Schulze - Fridman 3

 

…und der weiße Läufe sah sich zur Passivität verurteilt. Fridman konnte die Partie sauber verwerten.

Stefan musste gegen den soliden tschechischen GM Nguyen eine typische Carlsbader Struktur verwalten, in der er aber wegen des bereits vorgerückten b-Bauerns positionell leicht schlechter stand:

 

Nguyen - Walter

 

Hier wurde jetzt eifrig laviert und manövriert, bis sich Nguyen schließlich zum thematischen zentralen Bauernhebel e3-e4 durchrang:

 

Nguyen - Walter 2

 

Tatsächlich sollte Schwarz hier nicht zucken und direkt einen entlastenden Damentausch mit 28. …Df6 anbieten. Stattdessen spielte Stefan das naheliegende 28. …dxe4 29.Sxe4 Db8 30.Sf4 Kg8 31.Sh5 und ein Gewitter begann sich über der schwarzen Königsstellung zusammenzubrauen:

 

Nguyen - Walter 3

 

 Nach 31. …Sf8 donnerte es bereits: 32.Sexf6+! gxf6 33.Dxf6 und Stefan musste die Segel streichen nach 33. …Se6 34.Dxh6 Sd5 35.Tc3:

 

Nguyen - Walter 4

 

An Brett 5 absolvierte Johannes sein Bundesliga-Debüt und behandelte IM Zelbels Königsinder mit dem positionell angelegten g3-System. Zelbel entschied sich für das …c5-Abspiel und es entstand ein für die Variante nicht untypisches Ungleichgewicht:

 

Mettenheim - Zelbel 1

 

Weiß genießt einen Mehrbauern und äußerst stabile weiße Felder, Schwarz aber setzt auf das Läuferpaar und die langfristige Schwäche der weißen Bauernstruktur am Königsflügel. Bis hierhin war Johannes vorbereitet. Nach 16. …De8 17.Sd5 Tc8 18.b3 Tc5 hatte er aber eine wichtige Entscheidung zu treffen:

 

Mettenheim - Zelbel 2

 

Sollte man mit 19.Sxf6+ exf6 und z.B. 20.Df4 die Bauernstruktur transformieren (19. …Lxf6 20.Dxh6 sollte Schwarz wohl nicht erlauben) oder lieber die Spannung aufrecht erhalten mit einem Zug wie 19.Sd2

Johannes entschied sich für letzteres, was aber ein starkes (temporäres) Qualitätsopfer erlaubte: 19. …Txc5!? 20.Lxd5 Sg4 und die Drohung …Sxe3 mit Doppelangriff und Qualitätsrückgewinn ist nicht bequem zu parieren. Schwarz gewann die Qualität und den Bauern zurück und stand etwas besser.

Der vermutlich entscheidende Fehler kam aber erst später:

 

Mettenheim - Zelbel 3

 

Hier sollte Weiß die Damen auf dem Brett lassen und gleichzeitig die h1-a8-Diagonale behaupten mit dem eleganten 25.Df3!, wonach die Stellung zwar schlechter ist, aber noch vertretbar. Nach 25.La6? Dxf4 26.gxf4 Lc6 konnte sich Zelbel über ein traumhaftes Endspiel freuen:

 

Mettenheim - Zelbel 4

 

das Läuferpaar entfaltet hier seine ganze Wirkung, der Turm kommt über die d-Linie ins Spiel, während der weiße Läufer von seinem Zuhause, der langen weißen Diagonale, für immer vertrieben wurde. Johannes musste sich hier leider wenige Züge später geschlagen geben.

Der nächste Bundesligadebütant war Christian bzw. Polli, der mit der nimzoindischen Verteidigung gegen IM Dinstuhl in eine typische Struktur geriet:

 

Dinstuhl - Polster

 

Schwarz genießt eine solide Struktur und erträumt sich in ferner Zukunft vielleicht gewisses Spiel am Damenflügel basierend auf der statisch schwachen weißen Bauernstruktur dort. Auf der anderen Seite kann sich Weiß über einen signifikanten Raumvorteil und damit auch über einen höheren Grad Manövrerfreiheit freuen – und natürlich das Läuferpaar. Diese Trümpfe wird Weiß vermutlich versuchen am Königsflügel zu einer gefährlichen Initiative zu verdichten. Objektiv hat Weiß hier wohl klaren, aber womöglich nicht entscheidenden Vorteil.

Christian hielt die Stellung recht gut zusammen, ganz abschütteln konnte er den gegnerischen Druck aber nicht. Tatsächlich hätte sein Gegner in folgender Stellung durch präzise Evaluation einer Entspielabwicklung eine vielleicht gewonne Stellung erreichen können:

 

Dinstuhl - Polster 2

 

Dinstuhl entschied sich hier, die Drohung …Dg4 mit 29.Df3 zu parieren, wonach sich allerdings die Züge wiederholten per 29. …Dg4 30.De3 Dd7 etc. – ein gutes Ergebnis für Christian gegen den Internationalen Meister. 

Stattdessen wär 29.Le2! stark gewesen: nach 29. …Sg4 30.Lxg4 Dxg4 31.Df3! Dxf3 32.Txf3 entsteht ein Endspiel, das vielleicht auf den ersten Blick nicht so gravierend wirkt wie es eigentlich ist: die weißen Figuren dominieren die schwarzen, der schwarze Springer hat keine aktiven Perspektiven, und früher oder später können die schwarzen Bauern zu ernsthaften Schwächen werden und ggf. empfindlichen Angriffen des schwarzfeldrigen Läufers ausgesetzt sein. Außerdem ist Weiß hier die Seite mit den Chancen am Damenflügel: der Hebel a2-a4-a5 ist eine ernstzunehmende Ressource.

Am 6. Brett behandelte David den Reti-Aufbau seines Gegners, GM Daniel Hausrath, höchst aggressiv mit frühem h-Bauern-Vorstoß. Hausrath reagierte aber prinzipiell: mit aktivem Spiel im Zentrum und am Damenflügel, eingeleitet durch ein typisches Bauernopfer:

 

Hausrath - Hoeffer 1

 

Mit seinem letzten Zug 11.b3! öffnet Weiß Linien und Diagonalen, weicht die weißen Felder auf und bereitet vor, im Zentrum weiter aktiv zu agieren. Der schwarze König beginnt sich hier unwohl zu fühlen, während der weiße bombenfest steht.

David versuchte die gute alte Läufer-Dame-Batterie auf der b8-h2-Diagonalen, was aber durch f2-f4 vereitelt wurde.

 

Hausrath - Hoeffer 2

 

Hier gab es vielleicht noch eine Chance auf eine spielbare Stellung, wenn man der Engine vertraut, und zwar mit 16. …Se7 – die hier vorgeschlagenen Varianten sind aber eher schwierig nachzuvollziehen, geschweige denn am Brett zu finden. Stattdessen brach die Stellung nach 16. …Ta7 17.La3 Sgf6? (hier offenbar die letzte Chance, …Se7 zu spielen) 18.Tc1 zusammen – der Druck am Damenflügel wurde einfach zu groß. Hausrath konnte die Komplikationen erfolgreich navigieren und ein Endspiel mit Mehrqualität nach Hause bringen.

Neben Johannes und Christian lieferte auch Tobias sein Bundesligadebüt; er führte am 7. Brett die weißen Steine gegen IM Valentin Buckels. In einer Carlsbader Struktur mit beiderseitiger langer Rochade öffnete Tobias die Stellung irgendwann mit e3-e4, die resultierenden hängenden Bauern auf e4 und d4 wurden aber eher zur Schwäche:

 

Voege - Buckels 1

 

Tobias entschied sich hier zum Damentausch mit 26.Df3 Dxf3 27.gxf3, aber nach 27. …f6 28.Sh3 Sg2! ging ein wichtiger Bauer verloren, und Valentin konnte den damit verbundenen Vorteil relativ sicher verwerten. In typischer Tobi-Manier ließ sich unser Debütant für ein sehenswertes Partieende schließlich freiwillig mattsetzen:

 

Voege - Buckels 2

 

Sein Gegner handelte hier nicht nach der Maxime „nimm erstmal das Material mit, später kannst du immer noch mattsetzen“ und entschied sich für …Tf1#.

Jan spielte nicht nur die letzte Partie aus unserem Mannschaftskampf – auch nicht nur in Solingen – sondern die deutschlandweit letzte Partie aus der gesamten 5. Runde der Bundesliga. 

Dabei hätte man das bei der Eröffnung nicht unbedingt vermuten können – sein Gegner, der Niederländer GM Thomas Beerdsen, wählte nämlich die berühmt-berüchtigte (vielleicht eher berüchtigt als berühmt) Boor-Variante, von der man nicht behaupten würde, dass sie darauf angelegt ist, in einem langwierigen Endspiel leichte Knetchancen zu bieten. 

Interessanterweise wurde die folgende Stellung vor wenigen Jahren von keinem Geringeren als FM Tobias Vöge, vielleicht dem Boor-Experten schlechthin (Boor selbst würde hier vielleicht Einspruch erheben), in einer epischen Lister-Turm-internen Partie gegen IM Dennes Abel erreicht: 

 

Beerdsen - Pubantz 1

 

Im ab hier folgenden übersichtlichem Eröffnungs-/Mittelspiel geschahen Dinge, die sich meiner schachlichen Intuition eher entziehen. Jedenfalls erreichten die Spieler irgendwann diese Stellung:

 

Beerdsen - Pubantz 2

 

Jan hatte sich hier eine Qualität einverleibt, der Springer wirkt dafür aber eher gestrandet und wird vermutlich früher oder später dahinscheiden, und so stellt sich die Frage, ob sich dann die zwei Figuren gegen den Turm durchsetzen oder nicht – ein materielles Ungleichgewicht, das nie ganz einfach zu evaluieren ist. 

Beerdsen schaffte es, sich eine vorteilhafte Version davon zu erspielen. Nach zähem Kampf entstand eine Stellung, in der der eigentliche zähe Kampf erst losging:

 

Beerdsen - Pubantz 3

 

Und hier wird auch langsam das Potential dieser Partie ersichtlich, die längste der Runde werden zu können. Zwar ist Weiß hier natürlich die Seite mit den Gewinnchancen, objektiv befindet sich die Stellung aber im Gleichgewicht. Jan konnte das beweisen und ließ hier nichts mehr anbrennen. Ein harter Kampf und ein verdienter halber Punkt für Jan.

Und so holten wir gegen die Mülheimer drei halbe Punkte. Davon kann man sich mannschaftpunkttechnisch natürlich nichts kaufen, eine schlechte Ausbeute ist das aber trotzdem nicht, und mit einem gemeinsamen Abendessen beim Italiener und der einen oder anderen Partieanalyse haben wir den Abend ausklingen lassen.

Neuer Tag, neuer Autor. Weiter geht es mit David Höffer:

Am Sonntag wartete mit Solingen der Gastgeber und bis dato stärkste Gegner der Saison auf uns. Vorne mit Pentala Harikrishna ein Weltklasse-GM über 2700, in der Mitte mit Loek van Wely und Predrag Nikolic zwei Legenden, an Brett 6 immer noch 2536 Elo und am letzten Brett der als Jugendbrett gemeldete Alexander Krastev mit auch schon 2470. 

Erneut starteten wir mit einem unaufgeregten Remis, erzielt diesmal vom Kapitän des Wochenendes, Tobi. Da in vielen Matches das Damoklesschwert eines 0:8 über uns schwebt, ist ein solches Remis zu Beginn (naja, es waren schon über zweieinhalb Stunden gespielt) ein sehr beruhigendes Ergebnis. Gegen Liga-Präsident Markus Schäfer war dies die einzige Partie, in der wir einigermaßen in Elo-Reichweite waren und nachdem Schäfer aus der Eröffnung nichts herausgeholt hatte, teilte man in dieser Stellung den Punkt: 

 

Schaefer - Voege

 

Unsere beiden Jungspunde Jan und Johannes hatten es mit den erwähnten Legenden zu tun, wobei aufgrund der Farbverteilung eher Jan angreifen konnte, während Johannes die Aufgabe hatte, gegen einen ehemaligen 2700er mit Schwarz zu verteidigen. Das tat er lange Zeit sehr gut, setzte dem a-Freibauern Nikolics (Nummer 2 in Bosnien-Herzegowina) einen eigenen auf der c-Linie entgegen. In der folgenden Stellung traf er dann aber nach vielen richtigen einmal die falsche Entscheidung:

 

Pedrag - Mettenheim

 

Mit 34…Txb5 Dxb5 und erst dann einem Damenzug nach c7 oder d6 geht die Verteidigungsaufgabe noch lange weiter, das Remis bleibt aber in Reichweite. Hingegen war nach 34…Dc7?, dem folgenden Generalabtausch auf c5 und danach 37.Sd3 ein verlorenes Endspiel auf dem Brett. Der Springer überdeckt zum einen c1 und ermöglicht so dem Turm, den weißen Freibauern zu unterstützen, zum anderen strebt er nach b4, von wo er seinerseits den a6 deckt und gleichzeitig c2 unter Beschuss nimmt. Mit 37…Tc4 hätte Johannes letzteren Plan noch verhindern können (objektiv aber trotzdem auf Verlust gestanden), doch nach 37…Tc8? 38.Sb4 war die Messe gelesen. 

Auch ganz vorne und ganz hinten war kurz vor der Zeitkontrolle Schluss: Jakob und Polli, samstags noch jeweils mit einem halben Punkt, konnten keinen weiteren folgen lassen. Jakob musste den zweiten Tag in Folge gegen seinen Elo-stärksten Gegner ever ran, auch wenn Harikrishna nicht mehr die Nummer 2 Indiens ist (sondern mittlerweile die Nummer 6 und das mit über 2700!).

 

Harikrishna - Pfreundt

 

In dieser Stellung hätte Jakob wohl mit 12…Dc6 fortsetzen sollen, spielte stattdessen 12…Db5, wobei er übersehen hatte, dass Weiß nach dem Damentausch durch den Plan Sa3 nebst c4 unangenehme Drohungen aufstellen kann. Objektiv war das alles noch haltbar, in der Praxis aber schwierig, so dass Harikrishna mit einer sehr sauberen strategischen Leistung letztlich am Damenflügel zu entscheidendem Vorteil gelangen konnte. 

Polli hatte seine Stellung schon früh aufgerissen, um einen wilden Angriff zu initiieren, dabei aber eher seinen eigenen als den gegnerischen König freigelegt: 

 

Polster - Krastev

 

Hier ist noch alles ok, Weiß hat mit den vorgerückten Bauern am Königsflügel und dem gerade auf b6 installierten Springer durchaus Trümpfe in der Hand, ist aber eben auch taktisch anfällig: Nach 21.Lh3? (das natürliche Tad1 ist völlig ok) wäre die stärkste schwarze Fortsetzung 21…Sg6! 22.Lg3 Sxh4!! mit der Pointe, dass nach 23.Lxh4 Lxg5 24.Lxg5 Dxg5+ der schwarze Turm entscheidend über e4 ins Spiel kommt. Den anfälligen e4 ging Krastev stattdessen mit 21…Lxe4 an, was ebenfalls schwierige Fragen stellt. Mit 22.Dxe4 Dxb6+ 23.De3 wäre noch ok gewesen, Polli verließ sich aber darauf, dass er nach 22.a5? Sf3+ 23.Txf3 Lxf3 24.Ld7!? direkt die Qualle zurückgewinnen oder starke Initiative vorweisen könnte. Doch nach einfach …Lf8 kann sich Schwarz problemlos leisten, die Qualle zurückzugeben, da die Schwäche des weißen Königs in der Folge entscheidend ist. 

 

Stefan bekam es mit einer weiteren Nummer 2 zu tun, Markus Ragger, der in Österreich durch den Verbandswechsel von Kirill Alekseenko als langjährige Nummer 1 abgelöst wurde. Nach der Eröffnung war Stefan sehr zufrieden, auch wenn die Engine keinerlei Vorteil erkennen kann. In einer Partie mit heterogenen Rochaden und wenigen Leichtfiguren fallen konkrete Verbesserungsvorschläge dem Berichterstatter schwer, Schwarz erspielte sich in großmeisterlicher Manier nur langsam immer mehr Vorteil. Hier war dann in schon objektiv schwieriger Lage 31.d6! die vielleicht letzte Chance auf dynamisches Gegenspiel. Schwarz sollte den Bauern nicht nehmen (sonst nimmt Weiß nicht zurück, sondern spielt mit f4 oder Dh2 weiter, nachdem der schwarze Druck etwas gebremst wurde), sondern seinen Angriff fortsetzen. Einige Züge später nutzte Stefan das Motiv d6 noch, doch nun war es bereits zu spät und die schwarzen Bauern rissen die weiße Königsstellung entscheidend ein. 

 

Walter - Ragger

 

Torben wurde von Mads Andersen (noch eine Nummer 2, diesmal die dänische, jedenfalls unter den aktiven Spielern) in der Eröffnung überrascht, kannte sich in der entstehenden Variante aber zum Glück zumindest aus weißer Sicht noch recht frisch aus, so dass er eine kreative Idee entkorken konnte. Trotzdem gerät man mit gut 2300 gegen einen 2600er-Gegner durch kleine Ungenauigkeiten unter einen unangenehmen Druck, der in diesem Fall lange anhielt und den Andersen in folgender Stellung wohl auch hätte verdichten können: 

 

Andersen - Schulze 1

 

Mit 17.Lh6! hätte Weiß hier den Druck aufrecht erhalten können. Schwarz kann sich nicht gut entwirren, der weiße Plan ist, über g7 nach f6 zu gehen und dabei das schwarze Rochaderecht einzukassieren. Sollte Schwarz direkt Tg8 spielen, kann der Läufer nun über g5 eindringen und hat ebenfalls die Rochade zerstört. Stattdessen spielte Andersen direkt 17.Lg5?!, womit auch Torben hauptsächlich gerechnet hatte. Im besten Fall rochiert Schwarz nun direkt, wenn er erkennt, dass ein auf f6 auftauchender Bauer keine Gefahr darstellt. Torben hatte davor aber zu viel Respekt und hätte nach 17…Lxg5?! 18.Dxg5 0-0 immer noch größere Probleme bekommen können, wenn Weiß statt mit 19.Tfc1?! mit Sc5 fortgesetzt hätte, wonach die Dame dem Turm den Weg nach c8 versperrt. In der Partie konnte Torben sich stabilisieren und bis vor der Zeitkontrolle auf ein Damenendspiel (immer noch mit je sieben Bauern) abtauschen, in dem er bis zum 40. Zug einige einfache Züge machen konnte und die Berechnung seines konkreten Dauerschach-Gegenspiels auf die zweite Phase der Bedenkzeit verschieben konnte.

 

Andersen - Schulze 2

 

Hier fand er dann mit 43…De7 einen starken Zug, der über beide Diagonalen einzudringen droht. Je nach weißer Reaktion hält dann einer der beiden Ausflüge Remis, so dass Torben genau wie Tobi und Polli bei seinem ersten Bundesligawochenende gleich einen halben Punkt einsacken konnte. 

Weiß verpasst diese Chance, und Schwarz kann sich sukzessive raus arbeiten. In beiderseitiger Zeitnot geht der weiße Vorteil vollends flöten. Nach 40 Zügen ist der Weg zum Dauerschach schnell gefunden.

 

An gleich zwei Brettern hatten wir es mit einem Pirc zu tun. Gegen Jan und mich wählten die GMs van Wely und Florian Handke diese kämpferische Eröffnung, natürlich mit dem Ziel, einen vollen Punkt zu holen. An beiden Brettern gelang es uns aber, die Risiken dieser Eröffnungswahl zu nutzen und Vorteil zu erzielen. Bei Jan wurde es wild: 

 

Pubantz - van Wely

 

Im frühen Mittelspiel hatte Jan diese bereits vorteilhafte Stellung erreicht, in der Schwarz nun am besten mit Lf6 fortsetzen würde. Stattdessen erlaubt 15…h6? die Einschläge auf f7, die beide gut sind, wobei Jans Lösung, zuerst mit dem Springer zu nehmen, objektiv nicht ganz so gut ist wie die Alternative Lxf7+. In der Partie war die Reihenfolge egal, da van Wely (längere Zeit die Nummer 2 der Niederlande) ohnehin zweimal schlug. Einziger Nachteil der ganzen Sache war, dass Jan vor allem für die letzten beiden Züge (Db1 und Sg5) viel Zeit verbraucht hatte und nur noch eine halbe Stunde auf der Uhr hatte – aber eine klare Gewinnstellung gegen die ehemalige Nummer 10 der Welt bekommt man eben auch nicht ohne nachzudenken. Nach 16.Sxf7 Txf7 17.Lxf7+ Kxf7 18.Da2+ (deswegen war die Dame nach b1 gegangen) musste der schwarze König sich auf einen noch abenteuerlicheren Weg begeben als wir am Vorabend auf dem verschneiten, dunklen, bergauf gehenden Fußweg zum Hotel: 18…Kf6 (Ke7 ist auch möglich, keineswegs aber Kf8, wonach Txd7!! Nebst Lc5 die Partie entscheidet) 19.Dc4 (bester Zug) Db8

 

Pubantz - van Wely 2

 

Die Engine zeigt hier lockere +5 an, allerdings nicht mit dem von Jan gespielten 20.g3?, sondern mit 20.Se2! oder vor allem 20.g4!, was 20…Sf4 forciert und nach dem Tausch auf f4 mittels 22.e5+! die Stellung weiter aufreißt. Dieses weitere Bauernopfer hätte Jans Partie Krone aufgesetzt, nimmt Schwarz an, wird die e-Linie geöffnet, zudem ist das Feld e4 für den Springer als weitere Angriffsfigur zugänglich gemacht worden. Nach Jans Fortsetzung 20.g3 und anschließendem Eindringen mit beiden Türmen über die d-Linie nutzte van Wely die Chance, durch den Tausch seiner Dame für beide Türme den Angriffsdruck zu verringern. Danach ist Weiß zwar immer noch etwas in Vorteil, die Stellung ist aber mit immer weniger werdender Zeit sehr schwierig zu spielen und van Wely übernahm Stück für Stück das Kommando und manövrierte seine Figuren letztlich zum Sieg. 

 

Mein Vorteil war deutlich weniger dynamisch, sondern eher von positioneller Dominanz geprägt: 

 

Hoeffer - Handke 1

 

Der e5 und der c3/b2 schnüren den Lg7 ein, der b6 verhindert, dass der schwarze b7 seine schwächelnden Kollegen decken kann. Der Springer hält auf seinem Vorposten beide b-Bauern gedeckt, die Dame schaut immer nach b7. Den positionellen Vorteil auch zu verdichten, ist gegen einen Großmeister aber gar nicht so einfach, nach seiner hier gespielten Ungenauigkeit 31…a4 (besser ist …e6) hätte sich mit dem von mir an verschiedenen Stellen in Erwägung gezogenen 32.e6! die beste Chance dazu ergeben. Dass ein Tausch auf f7 mit Schwächung des schwarzen Königs für mich gut wäre, ist naheliegend, berechnen muss man aber, dass nach 32…f5 die weiße Dame den Springer im Stich lassen darf: 33.Txd8+! Txd8 34.Dxb7! und wenn Schwarz den Springer schlägt, kann ich auf e7 noch einen Bauern (mit Tempo) einsammeln und anschließend ist gegen die beiden Freibauern auf der 6. Reihe kein Kraut gewachsen. 

Leider sah ich das nicht und nach einer weiteren verpassten Chance im 40. Zug stand es irgendwann so: 

 

Hoeffer - Handke 2

 

Während in der vorigen Diagrammstellung Schwarz kaum Züge hatte, ist es nun Weiß, dessen Kräfte gebunden sind. Lxb2 kann sogar trotz des Springers mal drohen, das arme Tier ist ohnehin mittlerweile etwas überfordert, die ganze Mannschaft zu decken. Der Turm ist gefesselt, die Dame hat kaum Felder. Nach einigem Nachdenken fand ich aber eine Ausgleichsfortsetzung: 47.Sd6! (schon der einzige Zug, der die Partie im Gleichgewicht hält) c4!? (nach 47…Dxe5 plante ich 48.Sxb7, aber vielleicht berechnete Handke im Gegensatz zu mir korrekt, dass stattdessen Sxf7 direkt zum Remis führt) 48.Se4!? Kg7 49.Sf6 Dxe5 50.Dxc4

 

Hoeffer - Handke 3

 

Am Brett schätzte ich das zurecht als eine zweischneidige Stellung ein, die jederzeit in beide Richtungen kippen kann. Während ich den a-Bauern nun im Griff haben sollte, hat Schwarz auch Drohungen wie Th8 und De1, um meinem König zu Leibe zu rücken. Handke wählte Td8 (besser ist Th8) 51.Sg4 (objektiv ist Dh4 wohl besser) und nun sind Db8, Dd6 und mit Abstrichen Dd5 brauchbar, doch das nach 5 Minuten gespielte 51…Dh5?? warf die Partie einzügig weg: 52.Txf7+! hatte ich in einigen Varianten schon als mindestens Dauerschachoption gesehen, hier ist es aber offensichtlich gewonnen, da ich den Turm zurückgewinne, ständig die Springergabel droht und am Ende entweder der b-Bauer durchläuft oder Dame und Springer Matt setzen. 

Ein schöner Abschluss des Wochenendes, nach dem kein Spieler unserer Mannschaft, der mehr als zweimal zum Einsatz kam, noch 0 Punkte hat. 

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