In der japanischen Kultur ist die Akzeptanz der eigenen Unvollkommenheit als ästhetisches Konzept fest verankert. Im Fokus stehen hier die Einfachheit von Konstrukten, sowie die Wertschätzung von Fehlerhaftigkeit. Wenn man eine zerbrochene Keramik mit Gold repariert („Kintsugi“), wird der Makel hervorgehoben, der dem Gesamtbild eine ganz eigene Stimmung verleiht.
Beim Schach kann es ähnlich sein. In manch monumentalem Kampfe sieht man die Waagschale hin- und herschwenken. Wenn dann, im beiderseitigen Peitschen der Recken auf Sieg, einem der beiden Schachtitanen ein tödlicher Fehler unterläuft, so kann dieser noch Äonen später im hauseigenen Gedächtnispalast als Trauergespenst herumspuken.
Im Kontext freitäglicher Unterhaltung liest es sich indes weniger poetisch: „Boah ich Penner!!“ So und ähnlich schallte es am 09. August das ein oder andere mal durch die Hallen des Lister Turms. Der Anlass? Der Friday Night Blitz Clash lockte bereits zum dritten Mal eine Schar blitzhungriger Spitzenspieler an die Bretter. Diese kommen traditionell aus dem Hannoverschen Umland, aber auch diesmal war der Sog stark genug, mit dem Hamburger Gast IM Jakob Pfreundt einen ganz dicken Fisch ins Lister Haifischbecken zu locken. In diesem waren unsere beiden Topspieler besonders motiviert: Megalodon Ilja (der größte Fisch, schnell und kaltblütig) strebte die Pokalverteidigung an, während Blauwal Dennes (tut immer ganz nett und zerquetscht dich dann unaufhaltsam) nach den beiden Zweitplatzierungen in den letzten Turnieren erneut nach dem Gesamtsieg trachtete. Ihre Erstrundenbegegnung indes - endete Remis.
Der Autor dieser Zeilen indess fand seine biologische Analogie deutlich weiter hinten in der Nahrungskette. Zwar ging ich wie immer mit dem Selbstbewusstsein eines Orcas ins Turnier, musste mir aber schnell die Leistungsfähigkeit einer Seegurke konstatieren. Kostproben gefällig?
1) Wolter - Schulze:
Jens zeigte dieses Mal eine kleine Formschwäche, da er zum ersten Mal nicht gegen den späteren Turniersieger gewann. In der Partie gegen ihn entkorkte ich das famose Lxb4?? Sxb4 +-, (Jens revanchierte sich später aber noch → 0:1)
2) Hörstmann - Schulze (Partiestellung ähnlich):
Mit zwei Mehrfiguren mehr erspähte Schwarz hier den Damentausch Dxh5???, nur um nach Dxh5 dumm aus der Wäsche zu gucken. Nach Lxh5 Txf8+ Lxf8 d8=D wurden wir zwar noch Zeuge des ungewöhnlichen Endspiels Läuferpaar gegen Dame, welches dann aber doch viel weniger spannend war als man so allgemein denken würde (später 1:0).
3) Gentemann - Schulze:
4) Abel - Schulze:
Hier nun das Spukgespenst. In der Kantine erzählte mir letztens ein Kollege, dass seine halbstarken Söhne im Schach garnicht auf Matt spielen sondern stattdessen immer versuchen, so viele Damen wie möglich durchzubringen, bevor sie sich dann den gegnerischen König vorknöpfen. Vermutlich muss ich mir ein Grundschulkind als Sekundanten zulegen, denn hier machte ich es genau umgekehrt: Anstelle mit d1=D die dritte (!) Dame ins Rennen zu schicken, stellte ich mit dem Mattgedanken Df2+????? Lxf2 einfach Haus und Hof ein, nur um wenige Züge später aufzugeben (1:0).
Glücklicherweise blieb ich im Gurkentanz nicht alleine. Trotz der markigen Elo-Kategorie II (welche den Elo-Schnitt jenseits der 2280 reflektiert) wurden die Partien zwar schnell und spannend geführt, aber waren doch weit davon entfernt, einwandfrei zu sein. Ob es an den schwülen Temperaturen lag, vermag man nicht so sagen, doch mitunter spielten die Akteure so, als hätte man zwischendurch das Licht ausgemacht. Materialvorteil, Angriff, Stellungen, Zeit - so ziemlich alles wurde hie und da in den Sand gesetzt oder glitt wie selbiger durch die Finger. Ein gutes Beispiel bietet da folgender Ausschnitt:
Vorerst der größte Profiteur dieser Kakophonie war Dennes, der mit einem halben Punkt Vorsprung vor Ilja in die Schlussrunde ging, trotz des folgenden missglückten Meisterwerk:
Der Gesamtsieg schien damit zum Greifen nahe - doch dann erging es Dennes so wie vielen anderen an diesem verflixten Abend: er patzte und verlor. Nicht nur das - im Anschluss konnte er beobachten, wie Ilja am Nebenbrett mit seinem letzten Trick eine Springergabel anbringen und gewinnen konnte. Damit haben wir unseren ersten Titelverteidiger! Ein weiterer Sieg, und der Wanderpokal wandert in die Schneidersche Medaillenkiste.
Zum Abschluss ergab sich dann folgende Tabelle:
Platz | Name | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | Punkte | Direkter Vergleich |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1 | Ilja Schneider | ---- | 0.5 | 1 | 0 | 1 | 1 | 1 | 1 | 0.5 | 1 | 1 | 1 | 9 | |
2 | Dennes Abel | 0.5 | ---- | 1 | 1 | 0 | 1 | 0.5 | 1 | 0.5 | 1 | 1 | 1 | 8.5 | |
3 | Martin Hörstmann | 0 | 0 | ---- | 1 | 1 | 1 | 0 | 1 | 1 | 1 | 0.5 | 1 | 7.5 | |
4 | Moritz Gentemann | 1 | 0 | 0 | ---- | 1 | 0 | 1 | 0 | 1 | 1 | 1 | 1 | 7 | |
5 | Felix Hampel | 0 | 1 | 0 | 0 | ---- | 0.5 | 1 | 1 | 0.5 | 1 | 0 | 1 | 6 | 1.5 |
6 | Attila Aba Virag | 0 | 0 | 0 | 1 | 0.5 | ---- | 0.5 | 1 | 0.5 | 0.5 | 1 | 1 | 6 | 1 |
7 | Jakob Pfreundt | 0 | 0.5 | 1 | 0 | 0 | 0.5 | ---- | 1 | 1 | 1 | 1 | 0 | 6 | 0.5 |
8 | Torben Schulze | 0 | 0 | 0 | 1 | 0 | 0 | 0 | ---- | 1 | 1 | 1 | 1 | 5 | |
9 | Tobias Vöge | 0.5 | 0.5 | 0 | 0 | 0.5 | 0.5 | 0 | 0 | ---- | 1 | 0.5 | 1 | 4.5 | |
10 | Jens Wolter | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0.5 | 0 | 0 | 0 | ---- | 1 | 1 | 2.5 | 1 |
11 | Lukas Hoffmann | 0 | 0 | 0.5 | 0 | 1 | 0 | 0 | 0 | 0.5 | 0 | ---- | 0.5 | 2.5 | 0 |
12 | Uwe Gabriel | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 | 0 | 0 | 0 | 0.5 | ---- | 1.5 |
Auf den weiteren Plätzen folgten wie gesagt Dennes sowie der ewig tief stapelnde und hoch scorende Rückkehrer Martin. Dieser wies zwar bescheiden auf seine eigenen Unzulänglichkeiten hin, setzte aber erneut ein großes Ausrufungszeichen. Zu erwähnen sei noch no-draw-Moritz auf Platz 4, der es erneut schaffte, kein einziges Remis zu produzieren. Drei Turniere - dem Mathematiker. („1, 2, viele“) bereits eine hohe Zahl, die man getrost der Statistik übergeben kann. Also wagen wir den Quartalsabschluss. Die nahezu identische Teilnehmerzahl (11, 12, 12) erlaubt es einem auch, mit der Gesamtpunktzahl eine brauchbare Metrik für den Gesamterfolg zu verwenden. Gemäß dieser stellt sich der Gesamtscore wie folgt dar:
wobei ich es mir erlaubt habe, Uwe, Frank, Martin und Ilja jeweils ein virtuelles Ergebnis auf Basis ihrer beiden anderen Platzierungen anzudichten. Auch wenn erst drei Turniere gespielt sind: Die Überlegenheit der Top3 macht sich bereits in einem signifikanten Punkteunterschied zur sechsköpfigen, dicht-an-dicht liegenden Verfolgergruppe bemerkbar.
Was gibt es noch abschließendes zu sagen?
* Den Van-Helsing-Award (als Gegenpunkt zum Drawcula - Effekt) hat sich Moritz verdient, der in drei Auflagen erst ein einziges Remis beisteuerte.
* Den Drachentöter-Award erhält Jens für das stetige Besiegen der späteren Turniersieger.
Hoffen wir, die nächste Auflage wird genauso ein Spektakel!
Torben (mit dem Löwenanteil) & Felix
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