Ein Wochenende in der zweiten Bundesliga ist seit dieser Saison in vier von fünf Fällen ein Doppelspieltag, so auch dieses Mal. Vom Samstag berichtet David Höffer:
Nach unserem guten Saisonstart sollten auch beim einzigen Heimspiel-Wochenende Punkte her. Im Vorfeld hatten MF Dennes und Präsident Lukas gute Arbeit geleistet, mit dem Hannover Congress Centrum einen neuen Spielort gefunden, da der einzige hinreichend große Raum im Lister Turm besetzt war, und das Material herbeigeschafft und aufgebaut. Das HCC bot uns, den Reisepartnern aus Bremen und den Gästen aus Berlin und Rüdersdorf perfekte Spielbedingungen für umkämpfte Partien. Im Vorfeld war zwar nichts von einem Remisverbot zu hören, doch die Ergebnisse sahen beinah so aus, in unseren beiden Matches gab es an den beiden Tagen insgesamt nur zwei Remis!
Einen Tag vor dem Match mussten wir allerdings noch umdisponieren: Anthony hatte geplant, für dieses Wochenende aus der Schweiz anzureisen, löblicherweise mit dem Zug, doch eine Bombenentschärfung auf der Strecke (Torben vermutete eine zu explosive Vorbereitung von Anthony) machte ihm früh einen Strich durch die Rechnung. Kurzerhand wurde der eigentlich als Zuschauer eingeplante Schreiber dieser Zeilen zum Spieler umfunktioniert, somit hatte nur Stefan plötzlich eine andere Farbe, die übrigen Spieler blieben von der Änderung unbehelligt (wobei man darüber streiten kann, ob mein Spielstil nicht auch die Teamkollegen durcheinander bringt). Mit Rüdersdorf hatten wir es am Samstag mit einem der Topteams der Liga zu tun, doch die Aufstellung offenbarte, dass einige der stärksten Spieler bei den komplett aus polnischen Spielern bestehenden Rüdersdorfern fehlten. Somit hatten wir an vielen Brettern ein Duell auf Augenhöhe und hinten eine Favoritenstellung, hofften also auf einen ähnlichen Verlauf wie gegen Werder (vorne sechs Remis, hinten zwei gewonnen).
Nach den Eröffnungen war allerdings nicht wirklich klar, woher wir Vorteile nehmen sollten, Ergebnisse gab es erst in einem großen Schwung in der halben Stunde vor der Zeitnot. Daher ist eine ganz genaue chronologische Abfolge der Ereignisse für mich schwierig zu rekonstruieren.
Am besten stand im frühen Verlauf wahrscheinlich Torben, dessen scharfe Stellung mit heterogenen Rochaden aber für mich beim kurzen Blick von der Seite eher als unklar einzustufen war.
Wie Torben erläutert, steht er als Weißer hier vor einer Richtungsentscheidung für seinen Springer: Will der defensiv nach c1, positionell solide nach d4 oder angriffslustig nach g3? Die Engine hat noch ein viertes Feld in petto, nämlich f4, das zunächst mittels 16.f5!? geräumt wird. 16.Sg3 gefällt der Engine ebenfalls gut, allerdings kommt es zu sehr scharfen und unübersichtlichen Varianten, in denen Schwarz zum Teil unter Figurenopfer zu starkem Gegenspiel kommt. Das solide wirkende 16.Sc1 gefällt weder Dr. Torben noch Prof. Stockfish so wirklich, da Schwarz erst die Läufer tauscht und dann mit dem Springer das Manöver Sa7-b5 ausführt und gefährliche Drohungen aufstellt. Torben entschied sich letztlich für 16.Sd4, was eine solide und gute Wahl ist, objektiv noch keinen Vorteil verheißt, aber das schwarze Gegenspiel unter Kontrolle hält, so dass er seinen eigenen Angriff ins Rollen bringen konnte, bald standen weiße Bauern auf h4, g4 und f4, schwarze auf a4 und b4.
Unsere vorderen Schwarzbretter waren hingegen unter Druck, Ilja in einem damenlosen Mittelspiel, Stefan in einem scharfen Endspiel mit jeweils Dame und Turm, das nach einem langen Nachdenken von Stefan schon recht früh in der Partie entstanden war, Felix hatte eine Stellung, die recht solide wirkte, aber Aussicht auf Vorteil nur für Weiß bot.
Iljas Gegner setzte hier stark mit 21.f4! fort (auch Tad1 ist gut), wonach er bereits auf Gewinn steht. Allerdings fand er nach 21…exf4 22.gxf4 Sd4 23.Lxb7 Sxe2+ 24.Sxe2 Txb7 nicht die stärkste Reihenfolge für seine Angriffszüge. Mehrere Züge (das direkte f5, aber auch Sd4 oder Sc3) erzielen über +5, nach zunächst 25.Tfe1 Sd7 wird die Auswahl an klaren Gewinnen aber schon kleiner (26.Ta5!) und nach 26.Sd4 erhielt Ilja ein zweites Leben, da die Stellung recht forciert zu folgendem Endspiel wurde:
Das ist zunächst mal nicht gewonnen für Weiß, aber Ilja stand natürlich absehbar eine stundenlange Verteidigung gegen alle möglichen weißen Ideen bevor.
Dies war die Stellung, in der Stefan nach Beobachtungen vom Nachbarbrett eine Dreiviertelstunde überlegte, sich schließlich korrekterweise für das Abspiel 22…Txe3 23.Txe3 Lxe3+ 24.Dxe3 fxe5 25.Dxe5 Ta8 entschied. Sich gegen die weißen Schwerfiguren und den aufmarschierenden f-Bauern zu verteidigen, ist mit knapper werdender Zeit alles andere als leicht, doch Stefan gelang das zunächst, kurz vor dem Vierzigsten überstand er eine weiße Großchance und somit sollte auch dieses Endspiel lange dauern, später ohne Damen.
Auch Dennes musste sich eines starken Angriffs erwehren, den sein 100 Elo schwererer Gegner Arkadiusz Leniart am Königsflügel initiierte. Dennes verteidigte sich aufmerksam gegen die vor den Toren stehenden schwarzen Figuren (kurz vor dem Diagramm war auch noch ein schwarzer Läufer auf f3 zugegen) und ließ nie mehr zu als das in dieser Stellung zu (nicht entscheidendem) Vorteil für Schwarz führende 25…De5 (mit der Idee Tb8). Schwarz spielte stattdessen 25…Sf3, um nach 26.Kg2 Te4 27.Db7 Sh4+ 28.Kh1 fast die gleiche Stellung zu erreichen (nur die weiße Dame und der schwarze Turm sind je vier Felder nach vorn gezogen), in der Schwarz nun doch De5 spielte – hier verliert der Zug aber, weil es die Idee Tb8 nicht mehr gibt, während einzig 28…Te7 die Balance hielt. Dennes gewann eine Figur und wenig später die Partie.
Jan glich als einziger unserer Schwarzspieler problemlos aus und hatte schon nach 21 Zügen dieses Endspiel auf dem Brett, in dem der starke Läufer die schlechtere Bauernstruktur mindestens kompensiert.
Weiß sah sich nun dem Doppelangriff auf Springer und a2 ausgesetzt, deckte aber nicht mit Db1 beide Steine (vielleicht sah ihm das zu passiv aus?), was das Gleichgewicht noch hält, sondern spielte 22.Dd2?, woraufhin Jan dankend den Mehrbauern nahm und gewinnbringenden Vorteil reklamierte. Diese Reklamation kann leider nicht direkt beim Schiedsrichter angezeigt werden, sondern muss durch starke Technik nachgewiesen werden, was bei Jan aber keinen allzu großen Unterschied macht.
Bei mir sah es nach dem Abtausch meines starken schwarzfeldrigen Läufers so aus, als habe mein Gegner die Kontrolle übernommen, doch den augenscheinlichen strategischen Trümpfen auf schwarzer Seite hatte ich mit der halboffenen h-Linie und einer zentralisierten Dame noch einige taktische Fragen entgegenzusetzen. Hier hat Schwarz seinen leichten Vorteil bereits verspielt und mit 29…Tb6? einen weißen Gewinn ermöglicht, den ich leider erst einen Zug zu spät sah, als er wegen taktischer Feinheiten nicht mehr funktionierte:
An dieser Stelle gewinnt Weiß mittels 30.Txh7!!, weil nach der einzigen schwarzen Verteidigungsressource …Kxh7 31.Kd2 (nicht Ke2?? wegen Dxb5 mit Schach) f6 32.Dxf6 Txb5 der einzige Gewinnzug 33.g4! existiert. Weiß kann sich also tatsächlich zwei stille Züge nach dem Turmopfer leisten. In der Partie spielte ich hingegen erst 30.Tb1 Tc8 und erspähte dann den Einschlag auf h7. Nun funktioniert g4 am Ende aber nicht mehr, weil dann Txb1 kommt.
Mein Gegner spielte mit knapper Zeit allerdings erst (31.Txh7) f6, woraufhin Txd7 auf verschiedene Weise leicht gewinnt. Hier hätte ich den klassischen Ausspruch befolgen sollen, lieber die Dame zu nehmen als Matt zu setzen, weil das Matt vielleicht nicht funktionieren könnte… Denn nach 32.Dxf6 war …Kxh7 33.Kd2 Txb5! peinlicherweise eine kalte Dusche für mich, da ich zuvor übersehen hatte, dass der Turm nun auf h5 zur Rettung seines Königs eilen kann. Nun war es eigentlich reines Glück, dass ich nicht plötzlich mit einem Turm weniger da stand und mein Gegner mit knapper Zeit nicht einmal den schmalen Grat zum Remis fand: Nach 34.Lxe6 Sc4+ 35.Kd3
würden nämlich beide Springerschachs für Schwarz funktionieren, 35…Sb2+ gibt Weiß noch etwas Vorteil, aber nach 35…Se5+! habe ich nichts mehr, weil die Idee 36.Dxe5 an …Txc3! 37.Kxc3?? (Kd2!=) Dc6+ scheitert. Mein Gegner fand diese Ressource mit unter 2 Minuten aber zum Glück nicht mehr und spielte stattdessen 35…Dc6, was nach 36.Th1+ Th5 37.Txh5 gxh5 38.Df5+ den Mehrturm wieder verliert und zu einem Endspiel mit zwei weißen Mehrbauern führt, das ich leicht verwerten konnte.
Torben hatte mittlerweile seinen Angriff in Zählbares umgemünzt, praktischerweise wurde sein Angriff genau dann so richtig gefährlich, als dem Gegner die Zeit ausging.
Hier ist die Messe schon gelesen, Torben rechnete einige Zeit an 32.Txg7+ nebst Txf7+, was gewinnt, da er sich aber in den Berechnungen zu verlieren drohte, spielte er letztlich das profanere 32.Dg4, was nicht nur Matt droht, sondern auch Schwarz zur Aufgabe zwang.
Wie Dennes richtigerweise vor dem Spiel angemerkt hatte, ist es für einen MF eine sehr angenehme Situation, an Brett 8 jemanden aufzustellen, „der aus dem Stand Opens gewinnt“, wie Markus es beim Bremer Silvester-Open an 9 gesetzt getan hatte. Und Dennes hatte diese Aussage sogar noch vor Markus‘ zweitem Platz beim Nordwest-Cup getätigt! Da auch noch der Gegner schlagbar erschien (knapp 2100) waren wir am achten Brett optimistisch. Aus der Eröffnung brachte Markus allerdings als Weißer einen Nachteil mit, der auch im Mittelspiel einige Zeit Bestand hatte. Hier hat Weiß einfach einen Minusbauern und zudem kann man sich leicht vorstellen, dass der vom d5 blockierte Läufer in vielen Endspielen schlechter sein könnte als der Springer. Was man sich weniger leicht vorstellen kann: Vier Züge später stand Weiß auf Gewinn!
Schwarz hätte hier aktiv mit 27…Tb8 spielen sollen, da er gern den c4 für den b2 tauscht, um in die weiße Stellung einzudringen. Nach dem zu passiven 27…Tc8 schwindet der Vorteil hingegen schon dahin und nach 28.Tfc1 sollte im besten Fall nun der einmal eingeschlagene Weg konsequent weiter beschritten werden, der Bauer also auch noch mit dem Springer gedeckt werden. Auch einige Turmzüge halten noch das Gleichgewicht, 28…f5 zwar objektiv auch, doch nach dreimaligem Txc4 muss Schwarz schon sehr genau spielen und das richtige Feld für die angegriffene Dame finden. Korrekt wäre 30…Db8, ein entscheidender Tempoverlust war hingegen 30…Db6? 31.Tc6 Db8 und nun dringt die weiße Dame nach a6 ein, sammelt den a5 ein und kreiert damit eine Bauernmasse am Damenflügel, die in der Folge nicht aufzuhalten war.
Damit führten wir sage und schreibe 5:0 und konnten die Tabelle bestaunen, in der wir auf Platz 3 vorrückten.
Angesichts dieser Punktelawine war es zu verschmerzen, dass Felix im vierzigsten Zug dem dauerhaften Druck, Lösungen zu finden, erlag und sich hier mit 40…Tg5? Schwierigkeiten für die nächsten Züge einhandelte, auch wenn es noch nicht verliert. Nach dem nun möglichen 41.g4 ist es nämlich nun schwierig, den Turm aus seiner misslichen Lage zu befreien. Schwarz kann sich nun nicht mehr mit 41…f6 ein Feld auf e5 schaffen, weil Weiß nach 42.Tc8+ mit der Idee Se6 den Turm nicht rauslässt. Felix‘ letzte Chance war nun 41…Kf8, wonach das Leichtfigurenendspiel nach 42.e5 Tg6 erstaunlicherweise durch Warten Remis ist. Nach dem gespielten 41…Kh7? hingegen kam nach 42.e5 Tg6 das starke 43.Td6! Lc2 und Weiß hätte mit 44.h4! die Probleme des schwarzen Turms offenlegen können. Stattdessen kam 44.Sd7?, woraufhin Felix noch ein Endspiel mit Läufer gegen Springer erhielt, das an dieser Stelle verloren wurde:
Weiß hat gerade auf f6 genommen und Felix durfte nun nicht zurückschlagen, sondern musste mit 49…Le8 den a4 decken oder mit h5 den Königsflügel vereinfachen. Nach dem naheliegenden gxf6 hingegen gewann Weiß mit dem entfernten Freibauern.
Jans Sieg sollte der einzige zählbare Erfolg im gesamten Match für die Schwarzspieler bleiben. Denn während die Sieger schon mal einen Marsch vorbei an der Eilenriede vollzogen, um den Tisch beim vorzüglichen Inder zu besetzen, kämpften Stefan und Ilja in ihren Endspielen letztlich vergeblich, wurden dafür aber von Felix zum Essen gefahren, das durch gut gelaunte Tabellen- und Partiebetrachtungen geprägt war.
Stefan startete hier den letzten Versuch mittels 65…Tb8!, woraufhin nicht nur das automatische 66.axb8D?? Patt setzt, sondern auch der Versuch einer besonders hübschen Unterverwandlung mit 66.axb8L?? Leider spielte Marcin Sieciechowicz aber 66.axb8T!, woraufhin Stefan aufgab. Ich hätte hier 66.axb8S!! vorgezogen und gehofft, dass mein Gegner sich noch auf ein Springermatt in der Ecke einlässt.
Somit hieß es am Ende 5:3 – oder 7:1 für Weiß bei acht entschiedenen Partien.
Vielen Dank an David für seinen Bericht! Die Fortsetzung zum Sonntag folgt...
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