Nach langen Jahren der NSV-Pokal-Abstinenz nahm der Lister Turm dieses Mal an dem Wettbewerb im neuen Format teil. Anstelle eines K.O.-Turniers über mehrere Wochenenden hieß es diesmal ein Wochenende mit einem fünfrundigen Turnier Schweizer System zu spielen. Die Durchführung des Turniers in Verden verlief reibungslos, in eine Diskussion über Format und ähnliches möchte ich mich gar nicht erst begeben. Man kann froh sein, dass nach Coronapause der Pokal wieder stattfindet und auch ganz ordentlich besetzt war.
Nachdem ich davon überzugt wurde, das Event zu organisieren (also nur unsere Teilnahme), ging es an die Suche, wer denn spielen kann und vor allem wann. Es stellte sich heraus, dass es gar nicht einfach ist, für einen Freitag Nachmittag Spieler zu finden. Aber letztlich fanden sich 4 freiwillige Helden, die den Weg nach Verden schon vor dem Wochenende auf sich nahmen und uns in der ersten Runde vertraten. Ergänzt wurden sie mit 4 weiteren Spielern, die in unterschiedlichem Maße zur Verfügung standen. Ein hilfreicher Aspekt war hier die Obergrenze von acht Mannschaftsmitgliedern, so dass wir einen gewissen Spielraum zur Verfügung hatten.
Wir traten also mit IM Dennes Abel, dem Autor Felix Hampel, U16-Meister Johannes von Mettenheim, Moritz Gentemann, Rudi Hörstmann, Christian Polster, Martin Hörstmann und Sebastian Bleecke an.
Der erste Schreckmoment kam am Donnerstag: einer unserer Freitagsspieler war am kränkeln. Ein Plan B war definitiv nicht vorhanden, daher war es beruhigend, dass Rudi dann doch einsatzbereit war.
Als topgesetzte Mannschaft ging es in das Turnier, aber gerade bei vier Brettern ist nichts einfach. Überraschungen werden seltener, je größer die Menge an Spielen, daher mussten wir uns auf jeden Fall vorsehen. Zugegeben ist es mit Spannung nicht weit her, wenn im Titel schon das Endergebnis steht, aber gehen wir der Reihe nach durch die Begegnungen und sehen, dass es doch recht knapp zu ging.
Die Partien aller Begegnungen können auf lichess angeschaut werden: https://lichess.org/broadcast/bremen--lower-saxony-team-cup-2024/round-1/tDNdoPMT. Auf der Seite des NSV (https://nsv-online.de/2024/06/pokalmannschaftsmeisterschaften-2023-2024-bericht/) findet sich ein Abschlussbereicht mit Verlinkung zu Fotos, Ergebnissen und weiterem.
Runde 1, SV Hellern, 4-0
Das Ergebnis gegen den Oberligisten war erfreulich, wobei man nicht vergessen sollte, dass der Elounterschied durchschnittlich 150-200 Punkte betrug, unter anderem weil zwar ihre Top-Performer dabei waren, nicht aber ihre vorderen Bretter. Hinten spielten wir den Vorteil solide aus. Manchmal sagt ein Diagramm mehr als Tausend Worte:
Martin gelang auch ein überzeugender Sieg mit Schwarz, nachdem er sich ausgangs der Eröffnungsphase im Nahkampf im Zentrum durchgesetzt hatte.
Vorne war es aber nicht so klar. Rudi war nicht in bester körperlicher Verfassung und musste sicherlich mehr kämpfen, als es ihm lieb war. Dabei hatte zwischendurch die Chance, es gar nicht erst zu dem Zeitnotgefecht kommen zu lassen, in welchem er letztlich die Oberhand behielt:
Für die Galerie hätte hier 23.Lxg6 gewonnen, wobei es nach 23...hxg6 24.Dxg6+ nach keinem der beiden Königszüge den offensichtlichen K.O.-Schlag gibt. Allerdings hat Schwarz auch keine sonderlich guten Chancen zu entkommen und Weiß kann auf mehrere Weisen seine Figuren heranführen.
Am längsten musste vorne Johannes kämpfen, der nach über 50 Zügen seinen Gegner niederrang, ein Ergebnis, welches die erste Partiehälfte lang nicht unbedingt abzusehen war.
Runde 2, SV Werder Bremen, 3,5-0,5
Die Bundesligamannschaft war nicht vor Ort, tatsächlich war es mindestens zur Hälfte eine Jugendturnierfahrt der Werderaner. Das machte sich insbesondere hinten bemerkbar, wo die Jugend noch die ein oder andere Erfahrung sammeln musste.
Sebastians Gegner zog sehr schnell, aber auch wenn er abseits von einer schlechteren Struktur längere Zeit nichts schlimmeres zuließ, kann man nur so lange Schnellschach spielen, bis mal etwas übersehen wird. Das nahm Sebastian mit und ersparte sich einen womöglich langen Kampf.
Bei Christian war die Eröffnung schon der Knackpunkt. Die Figuren am Königsflügel des Gegners wollten partout nicht aus ihrem sicheren Haus, aber mit der Hälfte der Figuren kann man nicht lange gegen eine ganze Armee widerstehen:
Hier setzte Christian mit 23.Txc6 zur Schlusskombination an. Die krönte er dank eines netten Gegners mit einem seltenen Doppelschachabzugsmatt nach 23...Dxc6 (23...Txc6 24.Sa7) 24.Tc1 Dd7 25.Tc7 Dd8 26.Sd6#
Vorne an Brett 1 hatte ich es auch noch mit der Jugend zu tun: Max Weidenhöfer wurde vor kurzem bei der Deutschen Jugendeinzelmeisterschaft in der U18 Dritter. In dieser Partie kam er aber schon ausgangs der Eröffnung nach ungenauem Spiel unter die Räder:
Beginnend mit 11.h4 blies ich zum Angriff. Schwarz mangelt es an entwickelten Figuren und Gegenspiel. Schon bald fehlte auch noch Material und jeder Bauer vor dem König, weswegen er sich kurz vor dem Matt geschlagen geben musste.
Der halbe Ehrenpunkt wurde ausgerechnet vom gestandenen kreativen FM Olaf Steffens erzielt - gegen unsere Jugend. Gewohnt unkonventionell startete er mit 1.a3 d5 2.Sc3. Der Computer weiß es nicht zu schätzen, aber praktisch funktionierte es nicht übel. Über den Mittelteil der Partie breiten wir lieber den Mantel des Schweigens. Nach taktischem Hinundher ergab sich eine Stellung, in welcher der Bremer zwar einen Mehrbauern aber den etwas offeneren König in einem DT vs DT Endspiel hatte. Der Wille war Johannes nicht abzusprechen, alleine die Partie war beim besten Willen nicht zu gewinnen - unser erstes Remis.
Runde 3, SK Lehrte, 2-2
Die Lehrter hatten genau vier Spieler dabei, während wir kurzfristig den nicht wieder wirklich fitten Rudi durch Johannes ersetzten. Auch mit diesem Edelzuschauer wollte es aber nichts werden mit dem dritten Sieg.
Ich hatte vorne den Kampf gegen das in Lehrte geliebte Alapin aufgenommen, welches Nico mit fast religiöser Hingabe praktiziert und verbreitet. Entgegen gewisser (humoristischer) anderslautender Ansichten (https://www.sk-lehrte.de/article.php?doc=1092) ging ich nicht chancenlos unter. In einem komplexen Mittelspiel, welches wir beide sicherlich nicht wirklich durchdringen konnten, verpasste ich diverse Chancen, einmal um selbst auf Gewinn zu spielen oder öfter, um wenigstens das Gleichgewicht zu halten, bis ich dann bei knapper werdender Zeit in der von Nico stark ausgespielten Verschärfung der Stellung vollständig die Kontrolle und damit die Partie verlor.
Neben mir hatte Johannes für genau einen Zug die Möglichkeit, Vorteil zu erzielen. Er entschied sich dann jedoch für die falsche Transformation und konnte trotz fortgesetzter Gewinnversuche und zweier abgelehnter Remisangebote die Partie nicht mehr zu seinen Gunsten wenden.
Hinten hatte Martin einen etwas wackligen Start in die Partie, konnte dann aber so langsam seinen Spielstärkevorteil ausspielen. Ohne Kampf ging der Lehrter aber nicht unter und rettete sich in ein Endspiel. Zur Beruhigung unserer Nerven behielt aber Martin die Ruhe und gewann dieses sicher zum Ausgleich.
Nicht gut für die Nerven war hingegen Moritz eigener Versuch gegen Alapin. Probleme hatte er absolut keine - nur war es mit dem Gewinnpotential auch nicht so weit her. Aber wo ein Wille ist, da ist vielleicht auch ein Weg. Figuren wurden getauscht und Moritz behielt den eigentlich stärkeren Läufer gegen einen Springer. Noch dazu hatte er den aktiven Turm. Doch dann folgte ein 40. Zug, der die wirkliche weiße Drohung missachtete:
Da sind dem Turm die Felder ausgegangen... Moritz fing sich aber schnell und leistete Widerstand. So richtig einfach war es nicht und innerhalb von 10 Zügen war der Vorteil verschwunden. Das Remis hielt Moritz dann fest und rettet uns so auch das Mannschaftsremis. Einmal tief durchatmen, dass war knapp!
Runde 4, SK Union Oldenburg, 2,5-1,5
Der nächste Oberligist, aber dafür hatten wir ja unseren IM Dennes frisch an Bord. Noch dazu war Johannes schnell mit Mehrbauer und gigantischem Zeitvorteil auf der Siegerstraße. Objektiv war es tatsächlich meistens gar nicht wirklich etwas, aber unter dem Druck war es nur eine Frage der Zeit, bis ein wirklicher Fehler folgen würde. Mit dem 1-0 im Rücken sollte es doch eine sichere Sache sein, oder? Falsch!
Dennes hatte in einer Englischen Partie nichts herausgeholt. Das an sich muss ja nicht unbedingt etwas bedeuten, aber kurz darauf sah ich herüber und wurde von folgender Ruine begrüßt:
Nach dem vorangegangen taktischen Fehlstart machte Dennes aber in der Folge praktisch gute Entscheidungen, setzte den Gegner auf der Uhr unter Druck und schaffte es in ein Endspiel mit zwei Türmen gegen Dame und Läufer. Das war dank der Türme auf der siebten Reihe zwischenzeitlich sogar mal Remis, aber mit Inkrement auf Dauer schwierig nachzuweisen. Passend zum vorangegangenen Partieverlauf gelang es Dennes auch nicht, die notwendige Genauigkeit lange genug aufzubringen. Zwar nahm die abschließende Verwertung deutlich mehr Zeit und Züge in Anspruch, als nötig, aber das ließ sich der Oldenburger nicht mehr nehmen.
Am Nebenbrett hatte ich es durchaus in der Hand, für Sicherheit zu sorgen. In einem komplexen Königsinder kam das weiße Spiel nicht ins Laufen und dann muss man "nur" am Königsflügel die Ernte einfahren. Ich hatte ungefähr jeden sinnvollen Zug mal angedacht, aber konnte mich nie dazu durchringen, einfach mal aufzufahren und dann zu schauen was ist. So wurde es schließlich spannend, bis sich die nächste große Möglichkeit ergab:
Wer hier 33...Txf2! gesehen hat, kann sich beglückwünschen. Nach 34.Txd4 (34.Txf2 Da1+ mit Matt ist keine Lösung und 34.Tfe1 mag auch nur der Computer spielen) Txf1+ 35.Kxf1 cxd4 (nicht Da1+ 36.Td1) hat Weiß absolut nichts. Das alles habe ich gesehen, hatte aber nach den vorangegangen Ereignissen das Vertrauen in meine Rechenfähigkeiten verloren und zog es nicht...
Stattdessen nahm ich den Bauern auf c4, was ultimativ nach der Zeitkontrolle in dieser Stellung endete:
Das Remisangebot beschied ich abschlägig. Zum einen, weil ich ja immerhin den Läufer, sowie den Freibauern hatte und zum anderen weil die Matchsituation nicht sonderlich klar war. Ich schaffte es noch, einiges zu versuchen und zu erreichen, aber auch wenn ich es noch deutlich spannender gestalten konnte, als erwartet, gelang mir nicht mehr, als meinen Gegner ins Schwitzen zu bringen und eventuell um seinen Zug.
Hier war Oldenburg mit dem Schrecken davon gekommen und hinten hing jetzt alles an Moritz. Der hatte mit unrochiertem König innovativ auf Gewinn gespielt. Die resultierende Gewinnstellung wollte er aber gar nicht hergeben und so gingen mehrere direkte Gewinnmöglichkeiten vorüber. Über das Damenendspiel kann man lange Analysen verfassen und Diagramme in Masse einfügen. Es soll hier deswegen nur exemplarisch eines geben:
Zug 86, 1:18, Weiß am Zug. Was tun? Es folgte falsch 86.Dd2?, wonach Moritz den einzigen Gewinn 86...Db3+ gefolgt von Da3 spielte. Der f-Bauer ist kontrolliert, Schachs nicht möglich und der c-Bauer läuft durch. Das Remis hielt 86.Db6+ was unter anderem zu einem malerischen Patt führen kann: 86...Kc1!? 87.f8=D Kd1 88.Df1+ Dxf1 89.Db1+!
Runde 5, SK Nordhorn-Blanke, 2,5-1,5
Nach dem vorherigen Marathon (drei unserer vier Partien dürften unter den letzten fünf laufenden Partien gewesen sein) hatten wir nur eine kurze Erholungspause, bis es wieder an die Bretter ging. Moritz durfte sich ausruhen, ich musste (oder auch nach Sichtweise durfte) noch einmal ran.
Die Ausgangslage war klar: eine Niederlage würde uns vom Spitzenplatz stoßen, bei einem Unentschieden hätten wir es nicht in der eigenen Hand. Elovorteile hatten wir insbesondere am letzten Brett, daher war es besonders erschreckend, nach fünf Zügen dort folgendes Eröffnungsunglück zu entdecken:
Aber tatsächlich war es gar nicht so schlimm, wie es auf den ersten Blick zu vermuten war. Ein bisschen wild blieb es, aber über 350 Elo Unterschied machten am Ende eben doch den Unterschied. Was 26 Züge ausmachen können:
Tatsächlich war er aber nur der dritte Spieler, der seine Partie beendete. Zuvor hatte vorne Dennes mit Schwarz nach der Morgenrunde gegen IM Kroeze keine großen Ambitionen und ein schnelles Remis sorgte dort immerhin für Sicherheit.
Dahinter gelang es mir, eine verdächtig identische Stellung zu meiner ersten Runde aufs Brett zu bekommen:
Erneut wurde mit 11.h4 zum Angriff geblasen. Der Hergang unterschied sich zwar deutlich, aber das Ergebnis und die Kürze nicht.
Mit Weiß waren das Partien, die ich schon immer mal spielen wollte und von denen ich fast schon dachte, dass sie nur anderen Spielern vorbehalten sind!
Damit war der Sieg schon fest und Johannes durfte als letzter seine Stellung bis zum bitteren Ende verteidigen. Zuvor hatte er sich einem Königsangriff ausgesetzt gesehen, in welchem er durchaus gute Chancen hatte, sich zu verteidigen. Nur wollte er noch mehr und erspähte eine Variante, die leider ein sehr entscheidendes Loch aufwies, worauf nicht Schwarz gewann, sondern Weiß. Beeindruckend, wie lange Johannes es noch schaffte, die Partie am Laufen zu halten, doch manche Partien sind leider nicht mehr zu retten.
Am Ende stand damit ein im Ergebnis unerwartet deutlicher Sieg mit zwei Mannschaftspunkten Vorsprung! Wie knapp es war mag vielleicht auch noch der Vorsprung von nur 1,5 Brettpunkten verdeutlichen, was weniger als der Extrasieg ist. Aber wen interessiert das hinterher noch, wenn man den Siegerpokal hat?
Dahinter folgte Uelzen, die uns strategisch mit einer Niederlage gegen Lehrte vermieden hatten, und dank der kritisierten Zweitwertung Brettpunkte sogar noch Lehrte überholt hatten. Immerhin gab es noch Gerechtigkeit und die Lehrter, die es schafften in 5 Runden gegen die 1, 2, 3 und 4 der Setzrangliste zu spielen, belegten den dritten Platz, der ebenfalls zur Qualifikation zum deutschen Pokal berechtigt.
Mal schauen, was da so passieren wird!
Neuen Kommentar hinzufügen